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Paris


Grégory Reibenberg ist der Besitzer des Restaurants La Belle Equipe, einem der Ziele der Anschlagserie im November 2015. Hier wurden 19 Menschen ermordet, darunter Djamila Houd, seine Ex-Ehefrau und Mutter seiner Tochter. Das Schreiben war für ihn eine Therapie und er veröffentlichte im folgenden Jahr ein Buch, in dem er die Aufarbeitung der Traumata beschreibt. 



Wie fühlen Sie sich fünf Jahre nach den Anschlägen? 


Wir leben auf allen Ebenen in einer schwierigen Zeit. Man möchte aus dieser Covid-Zeit herauskommen, endlich leben und sich nicht an die unangenehmen Dinge erinnern. Ich wäre die letzte Person, die sich für jemanden mit meiner Geschichte interessieren würde. Ich höre zwei Minuten zu und sage von Weitem: «Bravo, Monsieur», und dann gehe ich meinen Weg weiter. Ich weiß nicht, wie jeder reagieren kann, aber ich sage mir, dass die Leute vielleicht ein wenig genug haben werden von all dem. 


Meine Gefühle sind derselben wie Ihren: «Die Anderen, die nicht da waren.» Das betrifft alle. Das ist ein steter Zustand. Es gibt kein Datum. Ich wohne immer noch in meinem Kiez. Das ist einen Zeitraum, zu dem es ideal wäre, Paris zu verlassen. Aber ich habe es nie wirklich gemacht… Ich vermeide es jedenfalls, mich auf der Straße aufzuhalten, denn wenn mich – sogar freundschaftliche – Blicke treffen, habe ich den Eindruck, dass es gestern war. Für die Leute ist einmal pro Jahr gestern. Ich spreche für mich, aber ich weiß, dass es etwas ist. Man findet das bei allen betroffenen Leuten. Es gibt kein Datum. Es gibt keine Zeitdauer. Ich lebe mit den anderen Überlebenden. Sie gehören zu meiner Lebensfamilie. 


Wie gehen Sie mit Gedenkveranstaltung um? 


Das ist so persönlich. Ich kann nicht davon sprechen. 

Ich bin mir bewusst, dass mein persönliches Drama nicht nur mir gehört. Es ist ein kollektives Drama. Das ist passiert. Ich habe keinerlei Schuldgefühl. Aber bei mir ist das passiert. Bevor ich mein Restaurant geöffnet habe, habe ich allen Opfern und ihren Eltern, allen, mit denen ich Kontakt hatte, geschrieben. Leider gab es viele, die ich kannte. 

Es war ein Musterbrief, in welchem ich das Gedenken im Innern der Belle Équipe erläuterte. Es gibt zwei große gemalte Gläser, zwei auf drei Meter, mit Mohnblumen. In den Stängel der Mohnblumen stehen die 20 Vornamen der Opfer, die ineinander verschlungen sind. Aber das ist diskret. Es ist keine Plakette. Es ist meine Art des Vorgehens, wie wenn ich alles zerstört und wieder anders zusammengebaut hätte. Deshalb blieb es ein würdiger Ort. 

Gemeinsame Gedächtnisfeiern, nützt das etwas? Ich weiß es nicht. Ich weiß, dass es nützlich ist, wenn es dazu dient, Menschen zu erinnern. Und dann, wenn es nützt, uns zu vereinen und zu wissen, dass man dessen gedenkt, dass die Leute für unsere Werte gestorben sind. Das muss man sagen. Darauf lege ich Wert, weil es wirklich wahr ist. Und ich kann Ihnen sagen, dass sie das mit der Belle Équipe angestrebt haben. Sie konnten es nicht besser machen. Wenn Sie die Straße überqueren und die Gedenkplakette mit allen Namen und Vornamen lesen, werden Sie sehen, dass sie Frankreich berührt haben. Es gibt alle Vornamen der Erde und sämtliche Herkünfte. Dort haben sie getroffen, was wir sind, ein Land, in dem wir alle zusammen mit verschiedenen Lebensgeschichten, verschiedenen Religionen leben können, weil unsere Leben vielfältig sind, mit unseren Herkünften, unseren kulturellen Hintergrund. Frankreich ermöglicht dies, unsere Gesellschaften ermöglichen es, eine private und spirituelle Blase zu haben und dass alle zusammenleben und wir nicht voneinander getrennt sind. 


Warum ist es so wichtig für Sie, möglichst normal weiterzuleben und voranzuschreiten?


All das ist damit verbunden, was man im Leben, im eigenen Innern ist. Leider enthüllen sich diese Dinge, wenn man mit solchen oder anderen Erfahrungen konfrontiert ist. Als Kind habe ich mir immer die Frage gestellt: Hätte ich während dem Zweiten Weltkrieg zu den 10 % Schurken, den 10 % der Widerstand-Leistenden oder zu den 80 % Schafen gehört? Ich denke, die Antwort auf diese Frage zu haben, aber ich habe nicht danach gesucht.{er lacht} Die Lebensereignisse haben dafür gesorgt. Nachher zweifelte ich nicht lange, um zu wissen, welche die Zukunft meines Betriebes sein würde. Ich hatte weniger als 48 Stunden, ich bin vor die Belle Équipe zurückgekehrt und es war offensichtlich. Am Sonntagmorgen war mein Entschluss gefasst. Ich wusste bereits, wo ich heute sein würde. Jedenfalls in Bezug auf meinen Betrieb und auf diese Geschichte, und das hat sich nicht geändert. 


Ich denke, dass dies schlussendlich eine Charaktereigenschaft ist. Es gibt viele Leute, die im Alltag schreckliche Dramen erleiden. Es gab zwei Paare, die an dem Abend im Restaurant saßen, sie hatten Kinder und sie haben es nicht überlebt. Wenn Sie (wie ich) eine Tochter haben, allein mit ihr sind und überlebt haben – sie haben es aber nicht entschieden, zu überleben – dann stellen Sie sich nicht lange die Frage. 


In einem Interview haben Sie gesagt: «Ich wollte keinen Ort des Gedenkens, sondern einen Ort, an dem das Leben noch mehr gefeiert wird.» 


Als Staatsbürger bauen Sie wieder auf und machen ein schönes Ding. Es kann nicht anders sein. Es ist auch eine Art, ihnen einen großen Applaus zu geben, zu sagen: „Unsere Werte sind stärker und wir werden nicht zusammenbrechen, auch wenn ihr uns hinunterzieht, unsere Frauen und Kinder umbringt. Wir werden nicht auf das verzichten, was wir sind. Unsere Werte sind schöner, sie verdienen auch, dass man das Risiko eingeht, voll eins auf die Fresse zu kriegen“. Es ist auch eine Art, «nein» zu sagen. Wir werden ihnen dieses Geschenk nicht machen. Wenn eine Stadt bombardiert wird, baut man wieder auf oder verlässt sie. Und die menschliche Natur ist nicht das Aufgeben. Ich zerstöre alles und beginne wieder alles und das wird stets ein Lebensort sein. Es ist eine Ehrerbietung für die Leute, die gegangen sind. 


Wie nehmen Sie die Art auf, wie die Medien auf kollektiver Ebene über die Attentate berichten? 


Als ich in einer großen Sendung im Fernsehen kam, konnte ich mich nicht zurückhalten und versetzte mich in die Rolle des kleinen Soldaten der Republik. Ich wollte die Zeit damit verbringen, nach den drei, vier, fünf Tagen nach den Ereignissen mit Lächeln zu verbringen und es war eine Art und Weise, allen, denjenigen, die uns das angetan haben, zu zeigen, dass man auf uns schießen und uns sehr weh tun kann, dass wir mit Wunden da sein können, aber trotzdem wieder aufstehen. Wir werden ihnen nicht die Freude machen, am Fernsehen gebrochene Menschen zu zeigen. Davon gibt es zu viele. Unsere kollektiven und nationalen Reaktionen auf all dies sind schon irgendetwas. Das schockiert mich. Reden, tränenreiche Vorschläge. Diejenigen, die das gemacht haben, freuen sich, dass wir so reagieren. Für sie ist es eine Freude, die sie zum Weitermachen anregt. Wenn dies wieder anfängt, müssen wir dann unbedingt ihre Namen, ihre Köpfe und ihre Gesichter zeigen? Wir wissen, dass dies weltweit genutzt wird, um Märtyrer zu schaffen. Sie freuen sich darüber. Muss dies sein? Diese Leute, diese Individuen sind als Stahlkugeln zu betrachten. Sie haben an sich keine Bedeutung. Sie verdienen nur, dass wir sie vergessen. Man sollte sich weder an ihren Namen noch an ihr Gesicht erinnern. 

Ich bin schockiert, wenn ich sie manchmal vor der Kamera reden höre. Was ich Ihnen sage, ist aber sehr persönlich. Es ist das Opfer, das zu Ihnen spricht. Wir sprechen von den Ereignissen von Bataclan, wenn Sie vom 13. November sprechen. Ich habe das Gefühl, dass ich und meine 20 Toten nicht existieren. Warum ist alles vereinfacht? Weil unser Barometer der Dinge das Podest ist, dort, wo es am meisten Tote und am meisten Schrecken gibt. Was die Ergebnisse und das Emotionale angeht, ist Bataclan enorm, während ich 20 Tote in meinem Betrieb habe. 

Unsere Haltung bei einem Attentat, unsere emotionale Reaktion ist unerträglich. Die Leute, die diese Angriffe ausgeübt haben, sind keine Dummköpfe. Das ist wohlüberlegt und wird seit über zehn Jahren vorbereitet. Das wird wie ein Spinnennetz gewoben. Sie ernten die Früchte. Und wir lernen nicht wirklich.


Welche Bedeutung sollte man Ihrer Ansicht nach den Gedenkfeiern verleihen? Muss man zu einem gegebenen Zeitpunkt zu etwas anderem übergehen? 


Das hängt mit der menschlichen Art zusammen. Man gewöhnt sich an alles. Nachher ist das Problem, dass man sich nicht daran gewöhnt. Aber wie reagiert man darauf? Wird man dies kollektiv verstehen? Wird man über die Emotion und Reaktion hinaus fähig sein? 

Sind wir alle fähig, kollektiv zu verstehen, dass unsere Werte in Frage gestellt werden? Und dass die Angst die Gefahr nicht verhindert? Es ist wichtig, den jungen Menschen beizubringen, dass die Republik schön ist und nicht vom Himmel gefallen ist. Sie ist kein Geschenk. Wenn wir dies den jungen Menschen beibringen, und dass es Kinder der Republik sind, die so etwas tun, gibt es ein echtes kollektives Problem. 

Wenn es unsere Reaktion ist, einfach an den Jubiläen zu weinen und Lust zu haben, ihnen eine Kugel in den Kopf zu jagen, sobald dies passiert, werden wir nicht vorankommen. Wenn am 11. Januar drei Millionen Menschen draußen waren, dann hat das etwas zu bedeuten. Wie ihr wisst, ist es einfacher, von den Attentaten am 

11. Januar zu sprechen, weil ich außerhalb bin. Am 13. November stehe ich mitten im Epizentrum. Charlie ist ein Messerstich in mein Herz, in meine Seele, in das, was ich bin. Ich war nie ein Leser von Charlie, aber die Leute haben getötet, weil man bei ihnen das Bild des Propheten nicht beschmutzt. Ich bin nicht speziell für Karikaturen, aber das ist nicht das Thema. Das Thema ist, dass dies existieren kann und nichts Blasphemie ist. Das, was wir sind, wurde angegriffen. Und ich möchte, dass die Leute in diesem Land unabhängig von ihrer Religion die Besonderheit Frankreichs akzeptieren, für die man mit Kriegen gegen den Klerus 1200 Jahre brauchte. Aber ich liebe die Karikaturen nicht deswegen und möchte sie nicht unbedingt haben. Gott ist kein Tabuthema. Sonst bedeutet dies unterschwellig, dass es sich um das Gesetz und um nichts anderes handelt. Nein, das hat man mir in der Schule der Aufklärung und in der Schule der Republik nicht beigebracht. 


Ich respektiere alle Leute, aber ich akzeptiere nicht, dass man unsere Unterschiede und Besonderheiten nicht respektiert. Wir leiden unter all dem, was diese Leute seit zwanzig Jahren säen und was man aus guten und schlechten Gründen hat durchgehen lassen. Nun muss man etwas machen, und Angst oder Hass bringen einem nicht voran. Wir müssen uns unsere Werte wieder aneignen. 


Ein Jahr nach den Attentaten haben Sie ein Buch herausgegeben. Wie kam es zu diesem Projekt? 


Was ich mit diesen Ereignissen entdeckt habe, ist das Schreiben. Ich habe umgehend aus Reflex geschrieben, um einige Dinge schriftlich festzuhalten. Ohne mir dessen bewusst zu sein, ist das zu einem Verband geworden. Es gibt eine Periode vom 23. November bis zum 22. Dezember. Ich schreibe jeden Tag. Das war mein Sauerstoff. Ich hatte rund zwanzig Seiten geschrieben und La Belle Équipe wiedereröffnet. Ich bin sehr stolz auf mich. Das Ganze ist ein Buch geworden. Aber seither habe ich Freude am Schreiben und es tut mir gut. 

Das Buch wurde gut aufgenommen und gefällt mir sehr, weil mir alle Nachrichten sagten, dass es eine Hymne auf das Leben war. Das Leben ist darin enthalten. Es ist toll, so etwas als Bericht von den Leuten zu erhalten. Es kann nicht besser sein. 


Welchen Wunsch verbinden Sie mit diesem Buch? 


Wenn man mich anhört, möchte ich als echter, kleiner, europäischer, republikanischer Bürger dastehen, der sicher und stolz auf seine Werte ist. Die Wunden hindern mich nicht daran, zu lächeln und im Leben vorwärts zu schreiten. Ich möchte zeigen, dass man wieder aufstehen kann, wenn man so getroffen wurde, und dass man noch stärker ist. Wenn man dies tut, dann ist das, weil unser Leben auf Werten beruht, die Sinn machen. Das ist so normal geworden, dass man das alles vergessen hat. 


Leider erinnern uns genau diese Leute daran, dass man dieses Glück, dieses Privileg hat und man in jeder Hinsicht kämpfen muss. Heute herrscht ein kultureller Krieg, den man führen muss, und das ist schrecklich. Es gibt Leute, die sterben, die sich töten, die andere töten und glauben, etwas Gutes zu tun. Sie haben bekanntlich keine Neuronen. Wir werden keine Lügenmärchen erzählen. Es gibt keine großen Intellektuellen da drin, sondern Leute, die wirklich glauben, etwas Gutes zu tun. Das steht nirgendwo.


Die Religion ist nur ein Vorwand. Seit Beginn der Menschheit ist sie für einige ein Vorwand, um zu töten oder sich ihrer zu bedienen. Das ist nicht neu.


Ich möchte mich als Soldat der Republik unter tausend anderen zeigen, denn ein Ozean sind tausend Tropfen. Ich möchte ein Tropfen dieses Ozeans des Lebens, unserer Art, mit all den Mängeln und Qualitäten zu leben, sein.


Berlin

Martin Germer ist seit September 2005 Pfarrer an der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche. Sie ist eines der Wahrzeichen von Berlin und liegt direkt am Ort des Anschlags. In den Wochen nach dem Anschlag übernahm er ,,die öffentliche Seelsorge“ und fungierte als Brückenbauer zwischen der lokalen Bevölkerung und den Behörden. 




Wie soll man sich die Rolle eines Pfarrers in einer solchen Situation vorstellen? 


Meine Aufgabe in diesen ersten Tagen war zum erheblichen Teil, Ansprechpartner aus der kirchlichen Sicht für die Medien zu sein. Was ich hauptsächlich gemacht habe, war öffentliche Seelsorge. Gar nicht so sehr Seelsorge im Einzelgespräch mit den Menschen, sondern vermittelt über Interviews, um zu helfen, diese Erschütterung zu verarbeiten. 

Relativ früh am Anfang habe ich an den Chefredakteur vom ZDF geschrieben ,,Müsst ihr bei jeder Meldung, die sich auf den Anschlag oder das Geschehen bezieht, immer das Bild von dem Attentäter einblenden?” So ist aber für manche der Eindruck entstanden, gewissermaßen der Attentäter, der ist wichtiger als die Opfer, weil die Bilder der Opfer in Deutschland ganz lang nicht gezeigt wurden. 

Ich bin der deutschen Presse sehr dankbar, dass sie das alles respektiert hat. Auch zu dem Zeitpunkt, als dann Namen schon bekannt waren - und da hätten Bilder verfügbar gemacht werden können - wurden sie nicht gezeigt. Die Opfer sind zu ihrem eigenen Schutz oder auf ihren eigenen Wunsch nicht vorgekommen.Im Gespräch mit Journalisten habe ich die Rückmeldung bekommen, dass ich in meiner Rolle als Pfarrer der Gedächtniskirche durchaus eine nützliche Rolle gespielt habe, für die allgemeine Öffentlichkeit.


Würden Sie sagen, die Kirche hat in diesem Fall die Aufgabe (das heißt die Betreuung der Opfer) der Politik übernommen?


Wir hatten keinen Kontakt zu den Opfern. Das war alles im Bereich der Polizeimaßnahme. Von staatlicher Seite am Anfang ist eine ganz unglückliche Kommunikation gelaufen. Angehörige haben erst nach Tagen erfahren, dass der Mensch, um den sie sich sorgten, gestorben war, obwohl es schon längst klar war. Da war ein Denkfehler, den die Polizei am Anfang gemacht hat. 


Es zeigte einfach, dass die Struktur unseres Landes noch nicht eingerichtet war, mit so einer Art von Geschehen angemessen umzugehen. Da gibt es inzwischen andere Pläne, das wird nicht nochmal passieren, aber die sind so am Anfang passiert. 

Wir als Kirche auf dem Breitscheidplatz haben Wochen später gesagt, wir wollen doch jetzt auch ein Signal an die Betroffenen senden. Wir haben von der Senatsverwaltung eine Auflistung bekommen, welche Nationalitäten dabei sind und wie viele Personen es sind. Mehr haben wir nicht bekommen. 

Wir haben selbst dafür gesorgt, dass unser Brief eben auch in verschiedene Sprachen übersetzt wurde. Wir haben Briefe ohne Namen geschrieben, wir haben sie geschlossen, und dann wurden sie beim Senat nochmal in einen größeren Umschlag getan und dann adressiert. Uns durften die Namen nicht zur Verfügung gestellt werden, das ist Datenschutz. So konnten wir mit den Angehörigen unmittelbar nicht in Kontakt treten. 


Der Breitscheidplatz mit der Gedächtniskirche war für viele erstmal nur der Ort des Schreckens. Das wäre für sie sehr abwegig gewesen, ausgerechnet dahin zu kommen. So habe ich das im Nachhinein verstanden. Wir haben auch später zu einigen Angehörigen einen sehr guten Kontakt bekommen.

Was zunächst sehr gut geklappt hat am ersten Abend, war der Einsatz der Rettungskräfte und auch der Notfallseelsorge. Es gibt in Deutschland eine Art der Notfallseelsorge, es ist eine vom Staat unterhaltene Struktur, die bei solchen Katastrophen, oder wenn ein schlimmer Unfall passiert ist, Seelsorger vermittelt, die als Einzelpersonen zur Verfügung stehen. Die Feuerwehr und die Sanitäter können damit nicht umgehen, sie sind da drin nicht geschult, und diese Notfallseelsorge wird vielfach von PfarrerInnen angeleitet, weil wir einfach die entsprechende Ausbildung haben. 


Die Notfallseelsorger, die waren nach einer Viertelstunde schon da. Ich habe mir auch erzählen lassen, dass die Nachricht dann an die Krankenhäuser ging, dass sehr viele Verletzte auch da waren. Da gab es schon starke Reaktionen und die Rettungskräfte, die haben geholfen, die haben die Leichen dann geborgen, obwohl man zu diesem Zeitpunkt noch nicht sicher sein konnte, dass da möglicherweise noch Sprengstoff ist. 


Man muss immer damit rechnen, dass Attentäter noch klüger oder noch böser sind und dann vielleicht noch eine zweite Stufe hinzufügen, aber die haben sich nicht davon abhalten lassen, die haben getan, was zu tun war. Das habe ich in den Gesprächen danach immer wieder gesagt, wenn vom Staatsversagen die Rede war: ,,Ja, das ist schrecklich, das hätte so nicht passieren sollen, ist aber passiert, aber seht doch bitte alles, was da wirklich geleistet worden ist, und macht das nicht so mies“. 


Es war dann auch meine Aufgabe, in den Monaten danach die Behörden ein bisschen in Schutz zu nehmen, da auch zu vermitteln und partielle Informationen im Hintergrund zur Verfügung zu stellen. Journalisten sind immer ein bisschen drauf und die Meldung muss immer dramatisch sein, es hilft in dieser Situation nicht. ,,Es ist kompliziert” ist keine Schlagzeile. 


Wir wollten für die Menschen aus der Stadt und aus dem Land in ihrer Erschütterung da sein. Wir können nur schätzen, dass in diesen ersten vier Wochen sich ca. 10.000 Menschen bei uns in den Kondolenzlisten eingetragen haben, und das waren ganz berührende Situationen, immer sehr persönliche Einträge. Das hat gewissermaßen in diesem Medium selber funktioniert, wir brauchten da gar nicht so sehr einzugreifen. 

Um die Kirche gab es 15 verschiedene Stellen, die sich dann gebildet haben, wo Menschen dann Blumen niederlegten, wo Kinder kleine Plüschtiere ablegten, alles, was so geschieht an solchen Orten, selbstgemalte Schilder, Bilder, auch wenn ein wenig dabei war, was polarisierend war, das Allermeiste war Anteilnahme, oft eben auch diese Aussage: ,,Wir lassen uns jetzt doch nicht von einem solchen Anschlag in unserer Haltung beeinflussen. In unserem Antreten für ein gutes, friedliches Miteinander, das soll man uns doch nicht nehmen, im Gegenteil“. Dafür konnten wir Raum geben. 


Es gibt Vermutungen, dass es kein Zufall ist, dass dieser Anschlag auf dem Breitscheidplatz in der Gedächtniskirche verübt wurde, damit auch dieses sehr symbolische Bauwerk getroffen werden sollte, und der Weihnachtsmarkt in dieser muslimischen Sicht als etwas christlich Spezifisches, etwas spezifisch Deutsches. Wenn das die Intention war, hat man sich am Ende den falschen Ort ausgesucht, weil ich mir keinen stärkeren Ort als die Gedächtniskirche vorstellen könnte, dieses Symbol des Friedens, die Erinnerung an Gewalt und Zerstörung, Friede und Rassenhass, um zu sagen: ,,Dagegen kommst du mit deinem Anschlag nicht an. Das ist einfach viel stärker.“ So hat es dann auch gewirkt. 


Gab es einen Konsens in der Art und Weise, wie an den Terroranschlag erinnert wurde?


Den Gedenkort gab es relativ schnell. Die Entscheidung von staatlicher Seite, es soll so etwas geben, und es soll auch zum ersten Jahrestag fertig sein, das ist für solche Prozesse ein ehrgeiziger Zeitplan. Normalerweise sind viele Beteiligte da, die Entwürfe werden diskutiert, dann wird nochmal neu angefangen. Das ging zum Glück alles sehr glatt: Ich habe relativ frühzeitig einen Formulierungsvorschlag gemacht, was auf diesem Gedenkort dann stehen soll. Ich habe sehr viel Wert darauf gelegt, dass darauf das Wort ,,islamistisch” nicht vorkommt, weil ich die Erfahrung gemacht habe, dass sehr viele Menschen islamistisch und islamisch verwechseln. 

Das war für mich sehr schön zu hören, das wurde von den Verantwortlichen ganz breit unterstützt, das wurde von niemandem in Frage gestellt. Es gab dann Einzelne, die das dann in der Öffentlichkeit kritisiert haben, aber es wurde breit akzeptiert, und auf die Weise entstand eine sehr allgemeine Formulierung, die wirklich darauf fokussiert ist, das Gedenken an die zwölf Menschen, die ihr Leben verloren haben, und dieser Ort ist nach einem Jahr eingeweiht worden.


Es hat tatsächlich genau das auch ermöglicht, was die Idee dahinter war: Dass Menschen erinnert werden, dass man auch eine Kerze, eine Blume abstellen kann, man kann auch genauso gut vorbeigehen. Ich selber komme auch so oft vorbei und manchmal halte ich an und sehe jemanden gerade dastehen, der erkennbar jetzt auch berührt ist. Wenn wir Gäste haben, die bei uns einen Gottesdienst mitgestalten, dann erlebe ich es regelmäßig, dass sie auch Bezug nehmen möchten, weil es für sie zu diesem Ort dazugehört. In vielfältiger Weise trägt diese Gestaltung dazu bei, dass die Erinnerung an die Opfer dieses Anschlages wachgehalten wird. Gleichzeitig steht da auch ,,für ein friedliches Miteinander aller Menschen”. Man kann sagen, ,,es ist banal“, aber wenn man das ernst bedenkt, dann heißt es, dass alle Menschen friedlich zusammenleben, auch die, mit denen man ansonsten wenig verbindet, die man vielleicht sogar als problematisch empfindet, und trotzdem friedlich zusammenleben. Wenn man in die Tiefe geht, ist dieser Satz sehr aussagekräftig, und das ist an so einem Ort, glaube ich, angemessen. 


Wir bereiten gerade den vierten Jahrestag vor. Wir hatten eigentlich die Vorstellung, dass es Jahr für Jahr immer weniger wird, dass man das praktisch nicht immer wachrufen muss. Bei der individuellen Trauer ist es auch so: Man hat einen großen Verlust erlitten, erstmal ist die ganze Welt stehen geblieben, und man weiß gar nicht, wie es weiter gehen soll, und dann findet man doch langsam wieder ins Leben zurück. Wir haben uns am ersten Jahrestag erinnert, wir werden uns auch am zweiten Jahrestag erinnern, aber das tritt doch etwas in der Hintergrund, und das ist auch nötig, weil die Wunde nicht immer aufgerissen werden muss.


Bisher ist es aber so, gerade aus der Runde der Angehörigen, die das eigentlich sehr wichtig finden, dass das wieder stattfindet und dass es auch groß stattfindet, mit offizieller staatlicher Beteiligung und mit einem gemeinsamen Symbol.

Wir werden dann sehen, wie es im nächsten Jahr wird, da ist der fünfte Jahrestag, zu diesen halbrunden und runden Zahlen, da haben wir noch ein anderes Ereignis. Für dieses Jahr ist natürlich auch noch die Frage, was überhaupt mit den Corona-Bedingungen geht. Es wird vermutlich den Weihnachtsmarkt geben. Den Weihnachtsmarkt-Leuten ist es natürlich wichtig, sie sind so zwiespältig: Einerseits waren sie selber und sind weiterhin immer noch betroffen, ganz buchstäblich, sie waren selbst am Einsatzort, bevor jemand da war, und mussten hinterher die Erschütterung verarbeiten. Andererseits sind sie aber wirtschaftlich davon betroffen gewesen, und seither ist es natürlich so, ihr Weihnachtsmarkt ist eben auch der, der mit diesem Anschlag verbunden ist. Das ist nicht unbedingt werbewirksam, es gibt auch auf der Seite der Schausteller: ,,Können wir das Thema nicht hinter uns lassen?“. Wenn es gesellschaftlich so gewünscht ist, dann findet es natürlich statt, da kooperieren wir auch gut mit allen Beteiligten, Behörden, Schaustellern und andere Akteuren. 


Sie setzen sich sehr für den christlich-muslimischen Dialog ein. Wie ist es dazu gekommen? 


Ich bekam im Januar den Anruf von dem stellvertretenden Vorsitzenden einer Berliner Moschee-Gemeinde, die würden gern recht bald auf dem Breitscheidplatz ein interreligiöses Friedensgebet organisieren, Vertreter verschiedener Religionsgemeinschaften zu einem gemeinsamen Auftreten mit einem ,,Gebet für den Frieden“ zusammenbringen. 

Ich habe mich erstmal erkundigt, weil ich diese Gemeinde nicht kannte, ich hatte bisher keine konkreten Erfahrungen mit dem christlich-muslimischen Dialog. Ich habe dann erfahren, dass es eine sehr engagierte Moschee-Gemeinde ist, auch im Hinblick auf Öffnung zur allgemeinen Gesellschaft, die aber auch umstritten ist, der auch vorgeworfen wird, sie stünde im Kontakt zur Muslim-Brüderschaft. Ich habe mich dann weiter erkundigt und erfahren, dass diese Vorwürfe sehr konstruiert sind, weil, wer unterwegs in der muslimischen Community ist, hat natürlich Kontakt zu anderen Muslimen, dann habe man auch Kontakt zu jemandem, der wiederum mit der Muslim-Brüderschaft zu tun hatte. So eine Kette könnte man wahrscheinlich auch bei mir machen, wenn man das wollte, und man würde dann auch mitbekommen, dass ich Kontakt zu irgendjemandem habe, der nicht so toll ist, das ist gewissermaßen gar nicht zu vermeiden.


Wir haben uns dann in Abstimmung mit dem Bischof entschieden, das muss einfach auch gemeinsam getragen werden, dass wir das Vertrauen bei einer tollen Veranstaltung setzen. Eines der Highlights dabei war, dass Sunniten und Schiiten zusammen aufgetreten sind, und wenn man die islamische Weltlage sich überlegt, dann kann man am besten wissen, dass das allein schon ein Riesenerfolg war.

Diese Veranstaltung ist aus bestimmten Kreisen sehr angegriffen worden, aufgrund dieser Vorwürfe. Das hat mich dann dazu gebracht, mich speziell für diese Neuköllner Begegnungsstätte, die Dar Assalam Moschee, an verschiedenen Stellen einzusetzen und auf unterschiedliche Weise für sie gut zu reden, zu sagen, „die machen eine tolle Arbeit“, und wenn ihr sie kritisieren wollt, dann redet mit ihnen darüber, anstatt über sie etwas zu schreiben, und bei einzelnen Journalisten hat es auch was bewirkt.


Ich will deutlich machen, wie sich das entwickelt hat. Ich bin zu Tagungen eingeladen worden, war auf einmal ,,der Expert für islamistischen Terrorismus“, ich wurde gebeten, über meine Erfahrung zu berichten. Ich habe damit in der Welt der jüngeren Muslime, die in Deutschland leben, aus zweiter oder dritter Generation, die deutsch-sozialisiert sind, aber gleichzeitig auch Muslime sind und natürlich auch einen Familienhintergrund haben und die sich in diesem Spannungsfeld selber beordern müssen und sagen: ,,Wir wollen Muslime sein, wir wollen Muslime in Europa sein, aber natürlich wir haben auch unsere Tradition zu achten“. 


In solchen Debatten bin ich reingekommen, und meine Interventionen, die sind dann da über die sozialen Medien bei den jungen Muslimen massenhaft geteilt worden. Sie haben vermittelt, es gibt da einen evangelischen Pfarrer, der an der bekanntesten Kirche in Deutschland Pfarrer ist, der auch offenbar eine bestimmte Bedeutung hat, der setzt sich so für uns sein. 


Das ist ganz stark angekommen. Es war jetzt nicht etwas, was ich geplant hätte, sondern das war der Effekt und das hat mich im Laufe der letzten Jahre eine Menge Zeit gekostet, weil ich mich nämlich einarbeiten musste, ich musste Gespräche führen, ich bin zu Tagungen gefahren, aber ich hatte das Gefühl, da kann ich einen guten gesellschaftlichen Beitrag leisten. Das ist ein indirekter Effekt des Anschlages, aber es ist ein Effekt, der für das Verhältnis zwischen Christen und Muslimen in unserer Gesellschaft durchaus positiv ist. 


Welche Ähnlichkeiten/Unterschiede sehen Sie mit den anderen Terroranschlägen, die anderswo in Europa verübt worden sind? Sollte es Ihrer Meinung nach gemeinsame Gedenkveranstaltungen geben, z. B. am europäischen Tag für die Opfer des Terrorismus?


Von der Art des Anschlags – erstmals sind natürlich Nizza, Barcelona und Stockholm und Berlin, alle Anschläge, bei denen ganz leicht zu beschaffenden Mordarten eingesetzt worden sind, andere Anschläge sind eben mit Waffen verübt worden, das ist ein Unterschied. Die Intention ist doch wahrscheinlich ähnlich. Charlie Hebdo war natürlich direkt auf diese Zeitung und die Redaktion gerichtet, hier war es mehr allgemein die Bevölkerung. Das sind so Nähen und Unterschiede, es ja auch weiterhin so, sowohl für Frankreich als auch für Deutschland, dass man immer damit rechnen muss, dass was anderes geschieht.

In Deutschland würde ich auch sagen, es gibt eben nicht nur die islamistische Terrorgefahr, sondern noch weit mehr rechtsradikale Attentäter, wenn man die Zahl der Opfer insgesamt betrachtet. 



Das muss immer mitgedacht werden, gemeinsame Gedenkveranstaltungen, in die Richtung würde ich erstmal nicht gehen. Ich glaube, jeder Ort hat sein eigenes Gedenken, und das jetzt so zusammenzufassen, würde meinem Empfinden nach in die falsche Richtung gehen. Das würde praktisch bedeuten, ,,wir sind jetzt gemeinsam bedroht“, was eher zu Abgrenzungsmechanismen führt, die für mich nicht wünschenswert sind. Ich fände es außerdem völlig unangemessen, das mit den Menschen im Nahen und Mittleren Osten zu vergleichen, die täglich mit solchen Anschlägen leben müssen. Gemessen da dran sind wir in Europa wenig betroffen, so schlimm es im Einzelfall und für die direkt Betroffenen ist. Die meisten Opfer von islamistischen Attentätern sind Muslime, und ich finde, da dürfen wir Europäer uns nicht zu wichtig nehmen, sondern sollten die Dinge in einem internationalen Rahmen nochmal anders bewerten.


London

Travis Frain ist ein Überlebender des Anschlags an der Westminster Bridge. Er engagiert sich seitdem auf vielfältige Weisen für einen besseren Umgang mit Gedenkveranstaltungen international.



Sie sind aktiv am Gedenken beteiligt und haben einen eher originellen Ansatz gewählt. Wie kommt das?


Ich habe in der Vergangenheit Gemeinschaftsarbeit geleistet, und in meiner Kindheit wurde mir stets der Wert ehrenamtlicher Arbeit vermittelt. Als der Anschlag passierte, und es gab, glaube ich, fünf weitere Anschläge allein in Großbritannien in jenem Jahr, schien es mir eine Gemeinschaft zu sein, eine Gemeinschaft von Menschen, die vom Terrorismus betroffen waren, und keine Gemeinschaft, in der sich irgendjemand jemals aktiv entscheiden würde, in irgendeiner Weise dazuzugehören. Wir alle haben diese Erlebnisse rein zufällig gemacht. 

Es war irgendwie so, dass das große Ding für mich eine Art Peer-to-Peer-Unterstützung ist, weil die Unterstützung für uns nicht wirklich vollständig zu sehen war. Offizielle Unterstützung von staatlicher Seite. Das Gedenken war nicht wirklich selbstverständlich. Es war nicht wirklich garantiert, dass wir das überhaupt in irgendeiner Weise haben würden. 

Am Ende habe ich viele Opfer anderer Anschläge getroffen, bevor ich überhaupt jemanden traf, der in denselben Anschlag wie ich involviert war. Und so musste ich schon, ob es mir gefiel oder nicht, irgendwie meine eigene Gemeinschaft, mein eigenes Netzwerk von Menschen errichten, die an meiner Erfahrung teilhaben konnten. 

Es war ein langer Weg. Das erste Erlebnis war wie lange? 30 Sekunden bis eine Minute? Aber die Konsequenzen ziehen sich so lange hin. Es war so, dass einige Dinge in den letzten sechs Monaten immer wieder passiert sind, und im Folgenden war das Essentielle für mich, dass es offensichtlich nicht wirklich das zentrale Unterstützungssystem gab, von dem ich eigentlich gedacht hatte, dass man es erwarten könnte. 


Wie haben die Behörden versucht, die Überlebenden zu unterstützen und an den Anschlag zu erinnern? 


Als ich aus dem Krankenhaus entlassen wurde, zog ich zurück nach Lancashire. Es gab kein zentrales Suchteam und ich fand viele Wohltätigkeitsorganisationen, die versuchten, die Lücken zu füllen, was für sie offensichtlich nicht einfach war, da sie aus augenscheinlichen Gründen die erforderlichen Mittel nicht erhielten.

Das einer Gedenkfeier Ähnlichste war der sogenannte Dienst der Hoffnung, der drei Wochen nach dem Anschlag in der Westminster Abbey stattfand. Ich wurde weit vorne platziert, weil ich sehr gut sichtbare körperliche Verletzungen hatte. Die anderen meiner Gruppe, die alle ebenfalls verletzt worden waren, einer von ihnen trug eine Armschlinge unter seiner Jacke, waren im normalen Publikum platziert. 


Es gibt hier zwei Arten von Problemen. Das eine war, dass der Rest der Jungs meiner Gruppe, die mit dem allgemeinen Publikum zusammen saßen, nicht wirklich dabei war. Ich weiß, dass sie auch nicht die einzigen waren, die davon ausgeschlossen waren. Das andere Problem war, dass jeder einzelne Politiker, der anwesend war, wegging, sobald die Kameras ausgeschaltet waren, und nur die königliche Familie an einem privaten Treffen teilnahm.


Wie hat das sich im Laufe der Jahre entwickelt?


Um die Weihnachtszeit 2017 fragten wir uns, was bezüglich des ersten Jahrestags geplant war. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Manchester-Arena bereits begonnen, darüber zu sprechen, was sie zum ersten Jahrestag tun würden. Dies war offensichtlich ein Alarm für uns, da unser Anschlag zwei Monate zuvor stattgefunden hatte. 


Also machten wir uns langsam Sorgen. Wir fingen an, mit Leuten in Kontakt zu treten, um herauszufinden, was los war, aber wir sind nicht allzu weit gegangen, weil das größte Problem hier offensichtlich war, dass keiner von uns tatsächlich Kontakt hatte, weil es nie eine Gedenkfeier gegeben hatte. Als es März 2018 wurde, wurden die Pläne aufgehoben und sie beschlossen im Wesentlichen, dass sie eine Widmung im Unterhaus abhalten würden, aber wir durften nicht teilnehmen, es war nur für Mitarbeiter des Parlamentsgebäudes. 


Ich habe mich mit meinem örtlichen Abgeordneten in Verbindung gesetzt und etwas gesagt wie: „Was war damit los? Haben wir eine Möglichkeit, dies zu ändern?” Er hat mir im Wesentlichen angeboten, mich in die Gedenkfeier zu schleichen, aber es fühlte sich einfach nicht richtig an, weil es eine Gedenkfeier sein sollte, die an das uns Widerfahrene erinnern sollte. Ich fühlte mich wie ein Betrüger. 


Was haben Sie stattdessen am ersten Jahrestag des Anschlags getan? 


Ich ging nach London und besuchte einige der Opfer aus meiner eigenen Gruppe. Es war eine sehr seltsame Situation, in der wir Blumen auf die Brücke vor dem Parlamentsgebäude legten. Ich wusste, dass innerhalb des Parlaments eine Veranstaltung stattfand, an der wir nicht teilnehmen durften.

Das erzeugt offensichtlich bei vielen Menschen Ärger, auch bei mir. Wir waren ungefähr 15, die sich vorher nicht abgestimmt hatten, aber wir hatten alle ein spontanes Treffen, weil wir alle die gleiche Idee hatten, nämlich zu wissen, dass im Parlament etwas los war, an dem wir teilnehmen konnten und wo uns einfach immer noch Respekt erwiesen werden sollte. 

Es war das erste Mal, dass wir wirklich die Gelegenheit hatten, uns mit allen anderen Betroffenen zu treffen, dort, wo es für mich wirklich angefangen hatte, weil ich sie getroffen habe, ihren Ärger und ihre Aufregung zugleich gesehen habe. Es hat etwas verstärkt, was ich immer gefühlt hatte, nämlich dass etwas nicht stimmte, wenn ich nicht genug davon hatte. Es gab mir die Willenskraft, mich dafür einzusetzen und zu versuchen, selbst etwas zu organisieren. 


Wussten die Medien und die Öffentlichkeit in Großbritannien davon?


Es gab einfach keine Ahnung, was wir durchmachten. Selbst jetzt kann ich nicht glauben, dass ich und eine Reihe anderer Opfer immer noch Morddrohungen erhalten oder von Menschen erfahren, die sagen, dass es die Anschläge gar nicht gegeben hat. Wenn Sie mit diesen Leuten sprechen und sie ihnen sagen, sie sollen vor dem Schlafengehen eine Tasse Milch trinken oder frische Luft schnappen gehen, um besser zu schlafen, sind das einfach völlig falsche und unangebrachte Ratschläge. 

Ich wollte nicht mit Freunden und meiner Familie darüber sprechen, weil ich bei ihnen nicht für eine Art Traumatisierung aus zweiter Hand verantwortlich sein wollte. Ich wollte nicht, dass sie wissen, was ich gesehen habe, was ich durchgemacht habe, weil ich persönlich wusste, wie schrecklich es war. Ich wollte niemanden unterwerfen. Jeder, auch ohne Berufsausbildung, war darauf vorbereitet. 


Wie sind Sie mit dieser Situation umgegangen, die Sie noch zusätzlich zu der traumatischen Erfahrung belastete? 


Im Laufe der Jahre bin ich so vielen anderen internationalen Gruppen beigetreten, die von Opfern für Opfer des Terrorismus auf eigene Faust gebildet wurden und versuchen, einander zu helfen. Wir haben gerade über den Missbrauch gesprochen, den Mangel an Unterstützung. Dies sind Dinge, auf die Sie sich nicht einmal mittels einer professionellen Ausbildung vorbereiten können. Sie werden nur verstehen, wenn Sie dies selbst durchgemacht haben. Das war für mich etwas wert, ich fand viel Unterstützung und weitere Netzwerke, die aufgebaut worden waren. 


Es ist eine Lernerfahrung, und das ist etwas, das mich nicht mehr überraschen wird, weil es wirklich erklärt, warum ich versuchen wollte, Gedenkfeiern vor Ort oder am Westminster zu bekommen, denn das Eigentliche, was ich immer sage, ist, dass es nicht genügt zu sagen: „Oh! Nun, mir wird es nicht passieren“, weil jeder glaubt, dass es ihm nicht passieren wird. 

Für mich geht es sowieso nicht nur um uns. Es geht nicht nur um eine Art Unterstützung. Menschen haben das schon durchgemacht. Es wird versucht, dies zu erreichen und sicherzustellen, dass es einen Präzedenzfall für Anschläge gibt, die leider unvermeidlich sein werden, um sicherzustellen, dass sie nicht denselben Zweck erfüllen. 


Was ist Ihr Ziel mit diesem Aktivismus? Werden Sie dabei von anderen Akteuren unterstützt? 


Mein Interesse an diesem Bereich hat von 2017 bis 2019 verschiedene Formen angenommen. Ich war Treuhänder der Peace Foundation, einer der Wohltätigkeitsorganisationen, die versucht haben, die Lücken in der Unterstützung zu schließen. Dann half ich 2018, eine Interessengruppe namens Survivors Against Terror zu gründen, die viel dazu beitrug, sie mit diesen Verbesserungen zu vergleichen, über die in Bezug auf die Unterstützung gesprochen wurde. Und dann habe ich in letzter Zeit eine Art Spendenmarathon für das Rote Kreuz absolviert, weil sie einen sogenannten Solidaritätsfonds haben. 

Vereinfacht gesagt: Wenn ein Anschlag verübt wird, zahlen diese sich sofort aus. Man muss bedenken, dass Menschen in Bezug auf ihre Lebensumstände ihr Leben oft nicht in vielen Punkten ändern können, all diese Dinge, die man leider nirgendwo sonst erfährt. Ich habe mich auf verschiedene Weise engagiert, und die Kampagne für diese Art von Gedenken war wahrscheinlich die schwierigste von allen, weil es nichts ist, was die Leute als Priorität ansehen. Es sind nicht die Opfer, die kämpfen müssen, um sich zu organisieren. Es ist die nationale oder auch die lokale Regierung. Es wird eine breitere Art der Unterstützung benötigt. 

Es ist etwas, das ich versuchen musste, das Ergebnisgremium mit Unterstützung der Opfer und nicht der breiten Öffentlichkeit zu beeinflussen. Um ehrlich zu sein, gab es hierfür keine wirkliche Strategie. Ich dachte nur: Wenn ich weiter über diese Themen spreche, haben sie irgendwann die Nase voll davon und sie werden sich tatsächlich mit mir beschäftigen und etwas unternehmen. Ich meldete mich freiwillig für Lebensmittelbanken und Dinge in der Gemeinde. Aber nichts davon hilft Ihnen dabei, einen Termin im Büro eines Beamten zu bekommen. 


Wie wichtig ist es, offizielle Gedenkzeremonien abzuhalten?


Es gibt zwei Hauptgründe, warum ich dies für wichtig hielt. Erstens ist es die Anerkennung. Es ist unglaublich schwierig zu erklären, wie wichtig es für die Menschen ist, das Gefühl zu haben, dass das, was sie durchgemacht haben, nicht mehr im Bewusstsein ist. Wir reden viel darüber, dass diese Anschläge keine Angriffe auf den Einzelnen darstellen. Sie sind ein Angriff gegen den Staat. Ist es nicht der Staat, der dafür verantwortlich ist, dass diese Menschen, wenn sie angegriffen werden, als Vertreter des Staates nicht ausreichend unterstützt werden und in dieser Zeit die benötigte Anerkennung erhalten? 

Der zweite Grund war, dass von den fünf Anschlägen im Vereinigten Königreich im Jahr 2017 der auf Westminster der mit der größten internationalen Tragweite war. Ich kann mich nicht genau erinnern, aber ungefähr 60 % der Betroffenen stammten nicht aus dem Vereinigten Königreich. Ich hatte das Gefühl, sobald ich aus dem Krankenhaus nach Hause entlassen wurde, dass ich in meinem eigenen Land in vielerlei Hinsicht verlassen war. Wie müssen sie sich fühlen? Wie war ihr Eindruck von meinem Land? Und das war für mich ziemlich beschämend. Ich dachte daran, dass sie nach Großbritannien gekommen waren, und dies ihre bleibende Erinnerung wäre. Sie sind sozusagen auf sich allein gestellt und es gibt keine Zusammenarbeit. Sie wurden nicht zurück eingeladen. Sie hatten keine heilende Erfahrung, zurück zu gehen.


Was haben Sie durch Ihren Aktivismus erreicht? 


Letzten Endes gelang es uns durch die Verbindungen, etwa 20 Unterschriften von Westminster-Opfern zu erhalten. Wir haben es geschafft, ein Treffen mit dem Bürgermeister zu vereinbaren, bei dem wir für eine halbe Stunde zusammensaßen und uns über diese Themen austauschten. Wir kamen zu dem Treffen in der Hoffnung, dass sie sagen würden: „Okay, wissen Sie, das muss sein, also werden wir es organisieren.” Aber was tatsächlich geschah, war, dass sie sagten, „sie organisieren es”, was uns sehr vor den Kopf stieß. 

Es war uns egal, denn solange es etwas in Ordnung brachte, machte es uns nichts aus, die ganze Arbeit selbst zu erledigen, solange wir zumindest offiziell den Rückhalt des Bürgermeisters hatten. Es wird dieses Jahr zum Jubiläum stattfinden, wir haben Mittel für die Gedenktafel bekommen, sie ist graviert und bereit, angebracht zu werden. Es war wirklich bedauerlich, dass bald sehr deutlich wurde, dass die Dinge in Richtung Covid gingen, und wir beschlossen, die Veranstaltung abzusagen. Ich fühle mich bei dieser Entscheidung nicht schlecht, aber es war nicht einfach. Ich denke, es ist wirklich wichtig, dass wir die Gedenktafel anbringen, damit jeder, der in London lebt, einfach vorbeigehen und sie sehen und seinen eigenen Respekt erweisen kann, selbst wenn wir die tatsächlich geplanten Veranstaltungen und die Versammlung absagen müssen. 


Möchten Sie mit Ihrem Projekt fortfahren? Wie möchten Sie es in Zukunft entwickeln?


Die Hauptsache für mich ist, dass ich einen Schlussstrich ziehen und nicht unbedingt weitermachen möchte, aber ich möchte wissen, dass ich etwas in sich Geschlossenes geschaffen habe. Es gibt noch ein paar andere Dinge, für die ich eine Kampagne durchführen möchte. Sobald wir eine Gedenkveranstaltung eingerichtet haben und die Menschen sich mit den Betroffenen treffen konnten, wird auch die menschliche Komponente dazukommen. Ich hoffe, dass es für viele Menschen eine Art informelles Unterstützungsnetzwerk geben wird, um andere Betroffene kennenzulernen und in Kontakt zu bleiben.

Ich fordere eine zentrale Finanzierungsstelle, die nach Anschlägen und Naturkatastrophen regulieren soll. Die Idee ist, dass es ein bisschen mehr Gleichheit zwischen den Opfern gibt. Eine zentrale Stelle, die regulieren muss, und auch eine zentrale Stelle, damit die Menschen wissen, an wen sie ihre Spenden richten können. Sie wissen genau: Wenn ein Anschlag verübt wird, kann ich hier spenden, damit die Mittel direkt an die Opfer verteilt werden. Ich war vor dem Anschlag tatsächlich in die Politik involviert, und es hat mich tatsächlich ziemlich losgelöst, als ich sah, mit welcher Gleichgültigkeit wir behandelt wurden. Ich bin in vielerlei Hinsicht ein Ein-Themen-Wähler geworden, das einzige Thema ist Terrorismus bzw. Terrorismusopfer und die Art, wie man das angeht. Es ist nicht wirklich ein Thema, das für eine bestimmte politische Partei ganz oben auf der Tagesordnung steht, es ist nicht wirklich eines, mit dem eine Partei Wählerstimmen sammeln kann. Für die Arbeit, die ich mit Anschlagsopfern geleistet habe, habe ich mich bereits mit Opfern/Betroffenen von Anschlägen aus den 1980er Jahren getroffen. Ich bin im Moment sehr engagiert in der Terrorismusbekämpfung. Ich helfe einer Beratergruppe für die Polizei auf lokaler und nationaler Ebene. Ich würde gerne mit ihnen arbeiten, bevor ich mich mit irgendeiner Art von Politik befasse, weil ich etwas Praktisches tun möchte, etwas, das tatsächlich an vorderster Front dieser Themen steht.


Was ist Ihrer Meinung nach der beste Weg, um die Opfer zu ehren und an sie zu erinnern?


Wir müssen uns auf die Zukunft freuen und sehen, was wir ändern können, damit die Menschen diese Probleme in Zukunft nicht mehr erleben. Ich mache mir große Sorgen über die Art der langfristigen Auswirkungen, denn wir sehen in Nordirland die offensichtlichen Auswirkungen, die die Probleme auf die dortigen Menschen hatten. Der wirkliche Kampf, mit dem sie sich noch auseinandersetzen müssen – und ich mache mir Sorgen – ist realistisch gesehen eines der größten Probleme im Moment in Europa, nämlich der islamistische Terror und die Angst voreinander, und dies wird sich in naher Zukunft nicht ändern. Ich denke, wir müssen ein bisschen mehr darüber wissen, wie wir die Auswirkungen dieser Anschläge abmildern und herausfinden können, wie wir sagen können: „Ja, es wird Anschläge geben”. Es reicht nicht aus, nach Anschlägen dazustehen, Effekthascherei zu betreiben und zu sagen, dass wir uns nicht von ihnen besiegen lassen werden. Wir müssen uns mit der Tatsache befassen, dass sie dies tun, und diesbezüglich etwas realistischer sein. 


Sollte es gemeinsame Gedenkzeremonien geben, zum Beispiel am Europäischen Tag für Opfer des Terrorismus?


Dem stimme ich voll und ganz zu, denn ich habe in den letzten zwei oder drei Jahren am Europäischen Gedenktag der Opfer des Terrorismus teilgenommen. Innerhalb dieser Gruppe bestehen viele Bedenken, dass wir nach dem Brexit nicht mehr zu diesen Veranstaltungen eingeladen werden. 

Für mich jedenfalls habe ich das Gefühl, dass wir unabhängig von Ihrer Politik in Bezug auf die Situation, unabhängig davon, ob Sie dem Brexit zustimmen oder nicht, weiterhin miteinander verbunden sind und immer noch vor denselben Problemen stehen. 

Soweit ich das sehe, kümmern die Terroristen und Extremisten sich nicht um Grenzen. Es ist ihnen egal, ob Sie sich als Franzosen oder Deutschen oder Christen oder Muslim sehen. Sie arbeiten grenzüberschreitend zusammen, um Anschläge zu organisieren und zu verüben. 


Wir müssen dasselbe noch einmal tun, unabhängig davon, ob wir Teil der EU sind oder nicht. Wir müssen uns in diesen Fragen gegenseitig helfen, wir müssen grenzüberschreitend Solidarität zeigen. Es sollte keinesfalls als Ersatz für einzelne Gedenkfeiern gedacht sein, sondern diese ergänzen. 

Ich denke, die größte Schwierigkeit besteht darin, dass die Leute immer sagen werden: „Warum ist das wichtig? Warum brauchen wir das?” Ich würde es am besten so beschreiben, dass es keineswegs abgewertet wird. Wir fragen nicht jedes Jahr, wann wir den Gedenktag für Weltkriegsveteranen haben, weil es unbedingt passieren sollte. Der Kriegsschauplatz hat sich heute geändert, so dass die Kriegsführung nicht mehr darin besteht, dass Länder andere Länder angreifen. Es sind nichtstaatliche Akteure, die Länder angreifen, und Zivilisten sind nach und nach zum Ziel der Kriegsführung geworden, wenn man es überhaupt als Kriegsführung bezeichnen will, weil es sich nicht um Gruppen handelt, die Einzelpersonen als eine Art Vertreter des Staates angreifen. 


Es geht auch darum, die Stimmen der Überlebenden zu verstärken und sicherzustellen, dass es nur ein Tag ist, ein Tag hier. Es ist nicht viel, aber es sollte an diesem einen Tag sein. Wir erinnern an diese schrecklichen Gräueltaten und respektieren diese Menschen. 


Unabhängig davon, ob Sie sich als Europäer oder Brite, Amerikaner oder Kanadier betrachten, alle haben wir diese gemeinsamen Erfahrungen. Wir sind alle bei unseren Bemühungen durch sehr ähnliche Anschläge verletzt worden und wir haben viel gemeinsam. Wir sollten das zur Kenntnis nehmen und uns darauf konzentrieren, denn es ist das Größte, was wir tun können, um einen Kontrapunkt zu den hasserfüllten Dingen zu schaffen, die von diesen Attentätern verbreitet werden. 



Manchester


Cath Hill wurde mit ihrem 10 jährigen Sohn Zeugin des Bombenanschlags an der Manchester Arena. Sie ist Sozialarbeiterin in Lancaster, lehrt dort an der Universität und initiierte den „Manchester Surviver Choir“ aus Mangel an zeitnaher Unterstützung für ihren Sohn, sich und andere Betroffene.



Ich hatte die Karten für das Konzert an dem Tag bekommen. Es war also nichts, was mein Sohn und ich geplant hatten oder worauf wir uns seit Monaten gefreut hatten. Da er noch nie zuvor auf einem Konzert war, war es eine ziemlich große Sache. Ich wusste nicht wirklich, wer sie war, obwohl ich einige der Lieder wiedererkannte. Der Auftritt war hochkarätig. Unglaublich. Und seltsamerweise erinnere ich mich, dass ich an die vielen jungen Leute dachte, die sangen und tanzten; junge Leute sind heutzutage brillant. 


Wir verließen das Gebäude zur gleichen Zeit, als die Bombe explodierte, aber durch einen anderen Ausgang. Im Grunde verließen wir also das Gebäude, während alle schrien und herumliefen. Wir wussten nicht wirklich, was los war. Aber das hielt nicht lange an, denn wir begannen zu realisieren, dass etwas wirklich nicht stimmte. Zum Zeitpunkt des Geschehens sahen wir niemanden verletzt oder so. Die Leute sagten, ein Lautsprecher sei explodiert. Außerdem hatte sie auf dem Konzert riesige Luftballons. Aber zur gleichen Zeit rannten und schrien sie. Ich glaube, das Schwierige für uns war, dass es Leute gab, die schrien, und dass es auch einen Schützen gab. Die Leute hatten wirklich das Gefühl, dass es einen zweiten Angriff gab, also versteckten wir uns für eine Weile unter einigen Torbögen in der Nähe der Eisenbahn. Dann beschlossen wir zu rennen. Wir sind dann gerannt und gerannt, bis wir zu dem Punkt kamen, an dem die Verwirrung nachließ und viele Leute nur noch standen und saßen und weinten, ohne wirklich zu wissen, was passiert war. Da beschloss ich, dass ich die Stadt verlassen wollte. Sie haben dann die Stadt geschlossen. Ich war wahrscheinlich eines der letzten Autos, das durchkam, sonst wäre die Polizei gekommen.


Wie würden Sie die Situation in Manchester und für sich als Privatperson in den nächsten Tagen beschreiben? 


Eine der wirklich schwierigen Stellen für uns war die Rückfahrt. Ich fuhr in dieser Nacht zurück nach Lancaster und zitterte nur noch, konnte das Lenkrad nicht mehr richtig halten. Ich war am Würgen, und mein Sohn, der sehr verängstigt war, sagte, er fühle sich nicht sehr gut; ich wusste, dass er nicht verletzt war oder so. Ihm ging es einfach nicht gut, wegen dem, was passiert war. Er kümmerte sich eine Zeit lang um mich, weil er sich Sorgen machte, dass ich beim Fahren zitterte. Aber er wollte nicht, dass ich aufhöre zu fahren. Genauso wenig wollte ich aufhören zu fahren. Wir waren buchstäblich zwei Minuten von zu Hause entfernt, als er plötzlich einschlief. Ich war so erleichtert. Mein Mann kam und trug ihn ins Bett. Er lag neben ihm, während ich die ganze Nacht wach blieb. Ich schlief ein und trank ein großes Glas Wein. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Ich wollte nicht einfach schlafen gehen. Ich wurde mit Nachrichten bombardiert, weil die Leute nicht wussten, ob ich in Sicherheit war.


Ich habe wahrscheinlich drei Tage lang nicht geschlafen, bis ich schließlich einen Hausarzt aufsuchte. Sie verschrieb mir ein paar Schlaftabletten, die ich aber nicht nahm, weil wir komischerweise nach Schottland fuhren, also hätten wir nicht weiter weg von allem sein können. Und das war gut für uns.


Als wir zurückgekommen sind, bin ich wieder nach Manchester gefahren und habe angefangen, mich ein bisschen mehr mit einigen Dingen zu beschäftigen. Ich musste einfach weitermachen, weil ich nicht verletzt war. Ich hatte mein Kind nicht verloren.


Tatsächlich habe ich inzwischen erfahren, dass die Hausärztin uns an die Polizei hätte verweisen müssen, damit wir als Opfer registriert werden konnten. Aber das hat sie nicht getan. Ich wusste nicht, dass das das Protokoll ist.


Die Abgeordnete meines Wahlkreises, die ich zufällig ein wenig kenne, war an der Gedenkstätte in Lancaster und sie kam zu mir und sagte: „Ich weiß, dass Sie dort waren. Falls Sie mich brauchen oder was auch immer, ich bin hier. Und bitte bleiben Sie mit mir in Kontakt“. Das war also nett. Ansonsten, nein, gar nichts. Und ich hatte einfach das Gefühl, dass ich einfach weitermachen sollte. 


Ich habe meinen Betreuern Bescheid gesagt, und die haben mir gesagt, dass ich mich an die Studentenbetreuung wenden kann. Tatsächlich ging ich drei Wochen später hin, und ich habe noch nie jemanden gesehen, der so überfordert aussah. Sie war nicht wirklich auf mich vorbereitet, weinte und sagte, ich sei in einen internationalen Terroranschlag verwickelt gewesen. 


Für Jake war es sehr schwer, zur Schule zu gehen, weil viele Kinder ihm Fragen stellten. Die Eltern sagten: „Ich möchte nicht, dass meine Kinder etwas über Terrorismus wissen“. Jake konnte nicht mit den Leuten darüber reden; es war irgendwie seltsam. Ich war wirklich traurig darüber.


Dann hatten wir beide das Gefühl, dass wir einfach weitermachen müssen, und das taten wir dann auch. Wir fuhren dann in den Urlaub nach Spanien, als die Anschläge in Spanien passierten.


Einige Leute fingen an, abzureisen, und das Hotel war von bewaffneten Wachen umgeben, weil einer der Angreifer nicht gefasst worden war. Ich erinnere mich nur daran, dass ich auf dem Boden des Hotelzimmers weinte, weil wir nirgendwo hingehen konnten. Mein Mann wollte unbedingt, dass wir Jake nichts davon erzählen, dass wir einfach abwarten und sehen, was passiert, weil es sich vielleicht beruhigt. Aber dann begannen die Leute, inklusive seiner Freunde, das Resort zu verlassen. Also mussten wir es ihm sagen.


Ich rief die Friedensstiftung aus Spanien an, um zu sagen, dass ich nicht weiß, wie ich es meinem Sohn sagen soll. „Sie müssen mir helfen“. Sie schickten eine E-Mail und sagten, es sei gut, ehrlich zu sein. Sie müssen aber nicht ins Detail gehen. 


Es hätte uns achthundert Pfund gekostet, früher nach Hause zu fliegen. Also entschieden wir uns zu bleiben. Wir versuchten, gut zu essen und in der Sonne zu sitzen. Ich war die ganze Zeit krank und versuchte einfach weiterzumachen. Meinem Mann und meinem älteren Sohn ging es viel besser, weil sie offensichtlich nicht in Manchester gewesen waren. Jake jedoch hatte im Flugzeug auf dem Heimweg eine wirklich schlimme Panikattacke. 


Daraufhin bin ich zum Arzt gegangen und habe gesagt, dass es mir jetzt wirklich schlecht geht, und da habe ich zum ersten Mal richtig angefangen, mir Hilfe zu holen. Ich habe einfach versucht, normal weiterzumachen, so normal, wie man in einer solchen Situation nur sein kann. 


Hier begann meine Reise im Chor. Ich habe mir Sorgen um Jake gemacht, weil er so klein war. Er ging ganz normal in die Grundschule. Aber die Dinge waren anders. Er bestand darauf, nicht in der Nähe der Straße zu laufen, weil er dachte, die Leute würden auf die Straße kommen und vielleicht versuchen, ihn umzustoßen. Er wollte nicht mehr alleine zur Schule gehen. Also ging er mit seinen Freunden und ich folgte hinterher. 


Er fing sogar an, nachts wach zu werden. Das tat ich auch. Ich lag mit ihm zusammen, ständig verfolgt von Albträumen, und konnte nachts nicht atmen. Der Arzt sagte: „Ich denke, wenn wir Jake helfen können, dann wird es auch Ihnen helfen“. Und das war wirklich wahr. Sie überwiesen ihn an den psychologischen Dienst. Sie sagten: „Gut, wir werden eine erste Einschätzung vornehmen und dann kommt er auf eine Warteliste, und ich muss ehrlich zu Ihnen sein – die Warteliste kann neun bis zehn Monate umfassen, weil er die Voraussetzungen für eine frühere Intervention nicht erfüllt“.


Ich weiß noch, wie ich zu ihnen sagte: „Wie viele Terroristen muss ein Zehnjähriger erleben, um die Schwellenwerte zu erreichen? Das ist lächerlich!“ Aber ich bin ein Sozialarbeiter. Ich kannte die Person im Team für psychische Gesundheit der Gemeinde. Wir haben im Grunde genommen eine Person, die alle zwei Wochen einen Nachmittag in unserer Gegend arbeitet, die Kinder unterstützen kann. Ich wusste auch, dass, wenn ich darauf drängen würde, Jake auf der Liste nach oben zu setzen, all die Kinder von der Liste gestrichen würden, die zum Beispiel häusliche Gewalt in ihrer eigenen Familie miterlebt haben oder vielleicht einen schrecklichen Trauerfall erlitten haben. Ich wusste also, dass Jake nicht auf die Liste hätte gesetzt werden dürfen, nur weil er in diesen nationalen Vorfall verwickelt war; das wäre falsch gewesen.


In der Zwischenzeit wurde mir aber klar, dass ich ein registriertes Opfer sein sollte. Daher rief ich die Polizei an und durchlief diesen Prozess. Außerdem kontaktierte ich die Peace Foundation und Werrington, die Familien und Menschen, die von Terrorismus betroffen sind, Unterstützung anbieten. Sie brachten mich auf eine Seite namens Yammer. Das ist eine Social-Media-Seite, wie ein Chatroom oder ein sehr günstiges Facebook, wo man mit den Mitgliedern der Seite chatten kann. Man kann auf „Yammer support for victims of terrorism UK“ Nachrichten schreiben. Es gab eine Seite für Menschen, die von den Anschlägen in London betroffen waren, und eine Seite nur für die Menschen in Manchester. Ich wurde auf diese Seite gesetzt, weil ich ein Opfer war und mich mit der Peace Foundation verbunden hatte. Dann habe ich zum ersten Mal andere Opfer virtuell getroffen. Das war wirklich wichtig für mich, denn bis dahin hatte ich das Gefühl, dass ich niemanden hatte, mit dem ich reden konnte, dass mich niemand wirklich verstand. Alle haben mir immer wieder gesagt, wie viel Glück ich hatte, aber ich fühlte mich nicht glücklich. Alle sagten: „Du musst jetzt einfach darüber hinwegkommen, denn du bist ja nicht verletzt worden, oder?“ Ich dachte, das sollte ich, aber ich hatte nicht das Gefühl, dass ich das innerlich fühlte. Es war also wirklich nützlich! Ich hatte zwei Dinge am Laufen: Ich unterhielt mich mit Überlebenden, und viele von ihnen sprachen darüber, dass sie keine Unterstützung für ihre Kinder bekommen konnten. Das war mir als Sozialarbeiterin schon bekannt, aber es machte mir wirklich deutlich, dass unser Land noch nicht bereit war. Eines Tages gab es plötzlich Tausende von Kindern und Jugendlichen im ganzen Land, die psychologische Unterstützung brauchten. Aber es waren nicht genug Leute vor Ort, die das tun konnten. Die Kinder, die verletzt wurden, bekamen viel körperliche Unterstützung. Und dadurch bekamen einige von ihnen dann auch psychologische Unterstützung. Aber diejenigen, die nie in ein Krankenhaus gingen, waren die Gruppe, die wirklich zu kämpfen hatte.


Ich begann zu überlegen, was wir tun könnten. Die Leute sprachen darüber, wie ihre Kinder aufgehört hatten, sich auf Dinge einzulassen, was ich auch bei Jake beobachten konnte; er hatte aufgehört, zu seinen Tanz- und Gesangsstunden zu gehen. Obwohl sie körperlich dazu in der Lage waren, konnten sie psychisch einfach nicht mehr hingehen.


Einige haben von einem Kind berichtet, das wirklich gut singen konnte. Es gab eine Art Gruppendiskussion darüber, wie toll es wäre, wenn wir zusammenkommen und singen würden. Aber es war zunächst nur eine Diskussion, denn das war vor Weihnachten.


Nach Weihnachten hatte ich immer noch große Schwierigkeiten. Eines der Hauptprobleme ergab sich aus der Tatsache, dass ich Sozialarbeiterin bin. Ich bin es gewohnt, mit Menschen in Krisen zu arbeiten. Daher dachte ich, wenn ich in eine solche Krise gerate, wäre ich jemand, der aufsteht und hilft und da ist. Aber das tat ich nicht, weil ich meinen eigenen Sohn hatte, den ich vorrangig behandelte, und ich trug tatsächlich Schuldgefühle in mir. Warum habe ich überlebt?


Ich dachte, vielleicht kann ich jetzt helfen, das ist es, was ich jetzt tun kann. Es war Januar, und ich ging zu dem Unternehmen, für das mein Mann arbeitete; wir hatten die Tickets von ihnen bekommen. Ich ging zu dem Direktor und sagte: „Würden Sie mir tausend Pfund geben? Ich möchte einen Chor gründen. Ich brauche etwas Geld für jemanden, der uns das Singen beibringt, weil ich nicht singen kann.“ Er gab mir sofort tausend Pfund.


Wir setzten den Chat auf Yammer fort und ich fragte: „Wenn wir das auf die Beine stellen, wird dann jemand kommen? Möchte jemand kommen?“ Und die Leute sagten ja. Also begann ich, einen Chorleiter zu suchen, jemanden, der sich engagieren wollte. Ich wollte die richtige Person finden. Also rief ich einfach Leute an und sagte: „Ich bin daran interessiert, einen Chor zu gründen. Hauptsächlich Frauen und Teenager-Mädchen“. Viele sagten nein. Dann rief ich eine Frau an, die in einem Frauenchor mitwirkte. Und mir wurde klar, dass das genau das ist, wonach wir suchen.

 

Sie sagte: „Ich lebe jetzt schon seit Jahren in Manchester. Ich habe das Gefühl, dass ich das für Sie tun möchte“. Eine andere Person sagte: „Ich kann den Veranstaltungsort in einer Kirche einrichten“. Dann saßen wir eines Tages zusammen. Ich habe einen Kuchen mit Bienen gemacht und ein Bild gemalt. Ich habe sogar Sandwiches gemacht. Es war also wie ein britischer Nachmittagstee. Wir tauchten einfach an diesem Veranstaltungsort auf; wir hatten uns nie persönlich getroffen. 


Am ersten Tag kamen 18 Leute, vor allem Mütter und Töchter im Teenager-Alter. Ich musste nicht die Geschichte von jedem kennen. Ich habe sie einfach umarmt, und wir haben sofort angefangen zu singen; wir waren wirklich gut. Wir versammelten uns einfach und fragten: „Sollen wir das noch mal machen?“ Wir haben uns einfach hingesetzt, und es fing an zu wachsen. Ich glaube, wir kamen auf etwa 36 Leute. Wir waren in dieser kleinen Kirche versteckt, etwa eine halbe Meile von der Stelle entfernt, wo die Bombe explodiert war. Niemand wusste, dass wir dort waren. Wir trafen uns jeden zweiten Sonntag zum Singen.


Der Jahrestag rückte näher, also trafen wir uns schon ein paar Monate lang, nur als kleine Gruppe. Wir bekamen eine E-Mail, die uns an den Jahrestag erinnerte. Es gab eine Fernsehsendung namens „Songs of Praise“, die eigentlich ein religiöses Programm in Großbritannien ist und Leute suchte, die sich daran beteiligen wollten. Wir kamen überein, dass ich sie kontaktieren und ihnen erzählen würde, was wir tun würden. Sie waren wirklich schockiert, als sie von uns erfuhren. Sie waren wie: „Oh mein Gott! Dieser Chor läuft schon lange und wir haben keine Ahnung?“ Also wurde vereinbart, dass sie uns filmen würden. Wir hielten das für ideal, weil wir dachten, wir könnten die Box nehmen, um das Gefühl zu haben, dass wir geholfen haben und ein Teil davon waren. Wir hatten sogar Kinder im Chor. Wir waren sehr aufgeregt, dass wir gefilmt wurden. Der Moderator war ein Typ, der auch eine große Morgen-TV-Show in Großbritannien moderiert, und er verbrachte einen Tag mit uns und alle waren begeistert.

 

Er hat dann über uns getwittert. Danach wurde es verrückt für uns, mit Leuten, die uns von den Medien kontaktierten, auch weil wir uns dem ersten Jahrestag näherten. Wir wurden gebeten, bei einer großen Veranstaltung aufzutreten - dem großen Singevent im Stadtzentrum, das zum Jubiläum organisiert wurde. Wir haben viele Fernsehinterviews gegeben, weil die Kinder das wollten; sie wollten wirklich ihre Geschichte erzählen.


Die andere Sache ist, dass wir lange Zeit keinen Namen hatten. Wir nannten uns einfach „Yammer Choir“, weil wir uns auf der Yammer-Seite eingerichtet hatten. Die jungen Leute kamen aber auf den Namen „Survivors‘ Choir“ (Chor der Überlebenden). Wir ließen schnell T-Shirts anfertigen. Es waren schreckliche T-Shirts, mit Tinte drum herum und allem. Aber wir ließen sie in einer Woche oder so anfertigen, weil wir beschlossen, dass sie alle gleich aussehen sollten. Es waren Kinder, die verletzt worden waren. Viele von ihnen hatten noch Narben. Sie mussten sich getröstet fühlen, also haben wir auch Kapuzenpullis machen lassen. Wir haben einfach versucht, das Beste zu tun, was wir in der kurzen Zeit tun konnten, um es auf die Beine zu stellen. Schließlich traten wir bei der großen Veranstaltung am Jahrestag auf. Es war allerdings sehr, sehr schwierig.

 

Wir hatten zugestimmt, morgens für das Frühstücksfernsehen gefilmt zu werden, also mussten wir um halb sieben aufstehen. Wir haben für alle die Nacht davor in einem Hotel bezahlt, damit wir zusammen sein konnten. Dann kamen wir einfach zusammen und es fühlte sich besser an. Es gelang uns, ein Busunternehmen zu finden, das uns für den Tag sponserte. So hatten wir den ganzen Tag einen Bus, der uns zu verschiedenen Orten brachte. Am Morgen haben wir in der St. Ann‘s Church gesungen, und dann haben wir uns bereit erklärt, zum Kinderkrankenhaus zu gehen, um dort zu singen und Danke zu sagen. Viele Leute gingen zu der offiziellen Gedenkfeier, also mussten wir alle dorthin bringen. Wir traten schließlich am Abend auf, und den ganzen Tag über weinte irgendwann jemand; es war einfach sehr schwierig, sehr emotional, besonders für Teenager. Es war ein wirklich dramatischer Tag, aber unglaublich, wenn man ihn als Gruppe erlebt. 


Wir haben viel unternommen, z. B. den Bus besorgt, so dass sich niemand Sorgen machen musste, wohin er fährt oder wo er parkt; wir haben sogar dafür gesorgt, dass jeder etwas zu essen und zu trinken bekommt. Die andere große Sache mit unserem Chor ist, dass ich überall, wo wir hingehen, die gesamte Sicherheit für den ganzen Veranstaltungsort herausfinden muss. Im ersten Jahr hatten viele Leute Angst, irgendwo hinzugehen. Also wurde ich gebeten, mich mit dem Verantwortlichen für die Sicherheit zu treffen, damit ich es weitergeben konnte, damit alle wussten, dass sie sicher sind. Wir mussten immer wissen, wo die Ausgänge waren und wohin die Leute gehen konnten, um eine Auszeit zu nehmen. Es ist intensiv, einen Chor zu haben, in dem jeder ein Trauma erlebt hat. Als wir dann im Fernsehen waren, meldeten sich viele Leute, die Opfer gewesen waren, aber vielleicht nicht bei der Polizei registriert waren, und sagten, dass sie gerne bei uns mitmachen würden. Nach dem Jahrestag hatten wir 200 Mitglieder. Also mussten wir uns einen größeren Veranstaltungsort suchen.

 

Wir sind dann in einen größeren Veranstaltungsort umgezogen, und die Anzahl der Auftritte stieg massiv an, und es war fantastisch. Wir wurden nach vielen Auftritten gefragt. Wir haben viel mit dem Kinderkrankenhaus zusammengearbeitet. Wir sammeln Spenden für sie; wir singen beim Marathon. Wir haben auch viel für das örtliche Hospiz gesungen, weil sie Familien unterstützen, die Menschen verloren haben. Und wir haben auch Geld für die Friedensstiftung gesammelt.

 

Wir haben jedoch ein paar Mitglieder verloren. Ich denke, mit der Zeit wurden einige der jungen Leute erwachsen und gingen auf die Universität oder was auch immer. Es kamen auch einige Leute zu uns, weil sie dachten, sie würden die ganze Zeit im Fernsehen sein. Die meisten dieser Leute haben aufgehört, als sie merkten, dass man sich tatsächlich für den Chor engagieren und regelmäßig erscheinen muss. Wir haben die Regel, dass man nur bei hochkarätigen Veranstaltungen auftreten kann, wenn man zu den Proben regelmäßig kommt.


Sind Sie, weil Sie anfangs erwähnten, dass es fast aus heiterem Himmel angefangen hat, von der Privatwirtschaft unterstützt worden? Wie sieht es mit den lokalen Behörden aus, wie der Gemeinde oder einer anderen öffentlichen Institution, die Hanson in irgendeiner Weise übernehmen wollte?

 

Schon, aber nicht in finanzieller Hinsicht. Wir bekamen unglaubliche Unterstützung von Andy Burnham, dem Bürgermeister von Manchester. Er kam zu einer der Proben und sagte, dass wir bei Part Life, einem riesigen Musikfestival, das im März stattfindet, auftreten sollten. Die Kinder waren wirklich aufgeregt, weil es ein cooles Event war. Sie gingen auf die Bühne, und dann ging es auch schon los. Wir haben uns auf zahlreichen Veranstaltungen getroffen. Er hat uns sehr unterstützt. 


Wir haben nie offizielle Unterstützung gehabt, aber die Leute in Manchester haben uns unterstützt. Und das war großartig. 


Unser Chor ist wirklich interessant, weil er eine echte Mischung aus Menschen mit unterschiedlichem sozioökonomischem Hintergrund ist. Es gibt ein echtes Klassenelement, wenn man in so etwas involviert ist; Menschen aus benachteiligten Verhältnissen bekommen nicht auf die gleiche Weise Zugang zu Dienstleistungen, obwohl sie es sollten. Was die Unterstützung für die psychische Gesundheit angeht, konnte ich sehen, dass die Kinder aus wohlhabenden Familien eine private Gesundheitsversorgung erhielten. Einige waren in der Schule, einer guten Schule, wo sie einen Berater hatten, der sich um sie kümmerte und sie unterstützte.

 

Das hatten viele Leute nicht. Das war wirklich wichtig und ist immer noch super wichtig für diese Familien. Eine der Familien war noch nie im Ausland gewesen, hatte noch nie ein Flugzeug bestiegen. Es war daher eine große Sache, als wir nach Nizza flogen.

 

Ein sehr gutes Beispiel dafür ist ein Mädchen im Chor namens Yasmin. Sie ist unglaublich. Und sie hat Narben an den Beinen, wo Schrapnell sie getroffen hatte. Es war sehr heiß an dem Tag der Aufführung in Manchester. Und sie war sich nicht sicher, was sie anziehen sollte. Sie sagte nur: „Gut, ich werde es versuchen“. Sie zog einen Mini-Rock an. Sie musste einfach, weil viele der anderen Mädchen Mini-Röcke trugen. Sie hatte einen riesigen Gips am Bein und so, aber sie hat einfach weitergemacht. Ich denke nicht, dass sie das getan hätte, wenn sie nicht mit dem Chor und all diesen anderen Leuten zusammen gewesen wäre. Es ist dieses Gefühl, immer von Leuten umgeben zu sein, die einen verstehen.

 

Ich rede viel darüber, wie wir diese Botschaft der Resilienz und Hoffnung verbreiten, aber es stimmt schon. Wissen Sie, es gibt Ihnen etwas, auf das Sie sich konzentrieren können. Das gibt einem einen Grund, gesund werden zu wollen und es zu bewältigen. Und wenn man auf eine Veranstaltung geht, wenn man singt, dann hat man auch ein Ziel. Und das ist wirklich wichtig.


Ich war mir darüber im Klaren, dass der Chor es in gewisser Weise zu seiner Aufgabe machen würde, die lokalen Behörden zu beeinflussen, also die Stadtverwaltung, eventuell das Krankenhaus und so weiter, besonders wenn es um die Unterstützung der psychischen Gesundheit geht. So gesehen kann man sagen, dass es fast ein politisches Projekt ist. 


Ich behaupte, dass der Chor mit 1.000 Pfund dem Staat Tausende von Pfund erspart hat. Ich habe mit dem Bürgermeister darüber gesprochen und er stimmt mir zu. Es gab junge Leute in unserer Gruppe, die selbstmordgefährdet waren, die sich weigerten, wieder in die Schule zu gehen, die sich von vielen Dingen in der Gesellschaft abgekoppelt hatten. Als Sozialarbeiter weiß ich, dass diese Angelegenheiten als Krise zurückkommen können, wenn sie älter sind, was den Staat Tausende von Pfund kosten könnte. 


Ich habe sehr viel darüber gesprochen und an verschiedenen Veranstaltungen teilgenommen, an Veranstaltungen der Europäischen Union und so weiter, und habe über meine Arbeit gesprochen. Und das werde ich auch weiterhin tun.


Auch mit meiner Rolle hier an der Universität, ich weiß alles über Theorien, das habe ich einfach mit Liebe und Mitgefühl und Sorgfalt getan. Und so fühle ich mich auch.

 

Mit einigen der jüngeren Frauen sind sehr starke Freundschaften und Bindungen entstanden, die sie, glaube ich, für den Rest ihres Lebens haben werden. Einen Freund zu haben, der ganz genau weiß, was man durchgemacht hat, ist sehr wichtig. Viele junge Leute wurden von ihren Freunden sehr bedrängt, als sie wieder zur Schule gingen. Die Jugendlichen bekamen Nachrichten, die Dinge sagten wie: „Ich wünschte, du wärst bombardiert worden“, „Ich wünschte, die Bombe hätte dich erwischt“, und „Oh, du bist nur so dramatisch deswegen“, oder „Oh, komm jetzt darüber hinweg!“ Mehrere dieser jungen Leute fühlten sich sehr getrennt und isoliert in der Welt. Die Teilnahme am Chor gab ihnen etwas Halt. Beim Chor ging es nicht nur darum, in einen Raum zu gehen und dort zu sitzen und erwartet zu werden, dass man über seine Geschichte spricht. Es ging darum, sich an einer positiven Tätigkeit zu beteiligen, die sich sinnvoll anfühlte und einem einen Zweck gab, denn wenn man das tun kann, fühlt man sich besser und sammelt Geld für das Kinderkrankenhaus. Eines der Dinge, die ich letztendlich tun möchte, ist, zu dokumentieren und richtig zu erforschen, was wir mit dem Chor gemacht haben, damit es bei Angriffen verwendet werden kann. Dazu gehört auch, wissen Sie, meine Erfahrung und unsere Erfahrung und hervorzuheben, was wichtig ist, was nicht, welche Leute am meisten profitieren und solche Dinge. 


Sie erwähnten die Zukunft des Chors. Ist es für immer gedacht? Gibt es vielleicht auch Leute, die sagen: „Weißt du, wir sollten weitermachen oder einen Schlussstrich ziehen?“ Sozusagen, das ist leicht zu sehen. Aber sehen Sie was? 


COVID hat das massiv beeinflusst, weil wir uns seit Februar nicht mehr gesehen haben. Wir haben uns einmal am Jahrestag getroffen und das auch nur, weil die lokale Behörde uns das gefahrlos ermöglicht hat. Ich weiß nicht, ob vor allem einige der jungen Leute zurückkommen werden, weil sie sich daran gewöhnt haben, dass es einen großen Teil ihres Lebens nicht mehr gibt. Also habe ich beschlossen, diesbezüglich nie einen Plan zu haben. Wir waren so lange da, wie die Leute uns brauchten. Ich glaube, die Dinge entwickeln sich weiter und es wird in irgendeiner Form weitergehen. Ich denke, mit der Zeit werden wir es einfach nach Gehör machen. Ich sehe, dass viele Leute aus der Gruppe mit ihrem Leben weitergemacht haben, besonders die jungen Leute. Sie sind wesentlich widerstandsfähiger. Was im Moment interessant ist, ist das wirklich schlechte Timing des Prozesses gegen die Bombenleger. Wir haben jetzt eine weitere Untersuchung. Und es war sehr anstrengend, nicht zusammen zu sein, denn ich denke, wir hätten uns dann gegenseitig ein bisschen mehr helfen können. Glücklicherweise haben wir durch den Chor diese Beziehungen aufgebaut, die es jedem erlauben, mit dem anderen in Kontakt zu bleiben und sich gegenseitig zu helfen. 


Wie sieht es mit den Gedenkfeiern in Manchester aus? Denn eines der Dinge, die sehr auffällig waren. Anderswo mag das anders sein. 


Manchester ist anders. An anderen Orten kam es sehr schnell zu Spaltungen und Spannungen innerhalb der lokalen Gemeinschaften. In Manchester jedoch, zumindest basierend auf der Essenswüste von Borias, die ich sehen konnte, scheint es sehr einvernehmlich und auch sehr feierlich gewesen zu sein, wie es eben war. War es so, weil Sie die Kostüme der Bienen trugen und dann auch noch wühlten? 


Ich denke, das Singen ist eine große Sache. Ich persönlich habe keine Spaltung gespürt. Die Medien, die BBC, haben mir sogar vorgegaukelt, dass sie mich zu einer Spendenaktion interviewen wollten, die wir abhalten würden. Sie führten sogar vorher ein Scheininterview mit mir. Und dann, als sie dran waren, spielten sie mir eine Aufnahme einer jungen Frau vor, die nach Syrien gegangen war, und baten mich um meine Meinung. Es waren alles persönliche Kommentare, und sie haben sich die falsche Person ausgesucht, denn so fühle ich eigentlich nicht. Ich habe innerhalb des Chores ziemlich hart daran gearbeitet, zu sagen, dass wir solche Diskussionen im Chor nicht führen. Es wird einfach nicht toleriert. Und warum nicht? Weil ich die Meinung der Leute nicht zum Schweigen bringen wollte. Sie können jede Meinung haben, die sie möchten, aber nicht im Chor, also nicht unter jungen Leuten. Wir kommen mit unterschiedlichen Weltanschauungen in den Chor. Unterschiedliche Menschen haben verschiedene politische Erfahrungen. 


Daher erlaube ich absolut keine Diskussion, die rassistisch begründet ist. Ich werde es einfach nicht erlauben. Und wenn jemand von den jungen Leuten etwas sagt, können sie mich um einen Kommentar bitten und ich werde sie genau wissen lassen, wie ich mich fühle und sagen, dass ich ihnen das nicht sagen will, wie im Chat mit dem Chor besprochen. Das respektieren alle. Das ist wirklich gut. 


Wir arbeiten so viel wie möglich mit der Gemeinde zusammen, um irgendwie da draußen zu sein, und wir werden an jedem Ort singen und auftreten, solange wir uns sicher fühlen. Ich habe dieses Gefühl der Teilung in Manchester nicht gespürt. Aber dieses Gespaltenheitsgefühl geht absolut gegen alles, woran ich glaube. Vielleicht kommt es nicht zu mir, weil ich nicht auf der Suche danach bin. 


Leider ist Manchester nicht die einzige Stadt in Europa, die angegriffen wurde. Und ich habe mich gefragt, ob Sie denken, dass andere Städte von den Erfahrungen der Stadt Manchester mit dieser Art von sozialen Projekten lernen können. Und außerdem, ob Sie denken, dass es eine gute Idee sein könnte, am Gedenktag für die Opfer des Terrorismus ein eigenes Gedenken zu veranstalten, um die Art und Weise, wie wir uns erinnern, noch mehr zu vereinen.


In Europa gibt es schon einen. Und das ist einer der Gründe, warum wir nach Nizza fahren wollten, um uns mit der internationalen Gemeinschaft zu solidarisieren, die wirklich in Not ist, denn es waren nicht nur Menschen aus Europa betroffen, aber sie haben die Mehrheit gestellt. Und jetzt fühlt sich das wirklich wichtig an, Geschichten zu teilen, sich als Teil dieser größeren Gemeinschaft zu fühlen, voneinander zu lernen. Vielleicht können wir das auch tun, wenn es einen weiteren Anschlag gibt. Wir haben bei späteren Anschlägen schon oft die Hand aufgehalten, auch wenn es nur über Twitter oder so war, um zu sagen: „Wir denken an euch. Wir wissen, was ihr durchmacht“. Ich habe an ein paar verschiedene Stellen geschrieben, um zu sagen, dass ich es für sehr wichtig halte. Ich meine, es ist schwer zu sagen, ob Manchester irgendetwas getan hat, aber ich denke, dass die lokalen Verantwortlichen in Manchester wirklich stark waren. Sie waren sehr freundlich, fürsorglich, rücksichtsvoll und würdevoll. Und ich finde, das war wirklich wichtig, dass sie irgendwie gezeigt haben ... Sie haben irgendwie gezeigt, was Manchester wollte, wie es reagiert hat, und die Leute sind ihnen gefolgt, wirklich. Und ich denke, dass eine gute Führung sehr, sehr wichtig war. Ich meine, ich will damit sagen, dass ich aus Manchester komme. Ich denke, es hat schon Schwierigkeiten erlebt. Zum Beispiel, nach dem IRA-Bombenanschlag, der dort stattfand, kam es gestärkt zurück. Die Stadt befand sich damals im Aufbau, was die Stadt zu dem gemacht hat, was sie heute ist. Ich glaube, die Menschen sind fürsorglich und rücksichtsvoll. Es herrschte ein Gefühl des Weitermachens und des Nicht-Aufgebens. Die Menschen schauten sich einfach gegenseitig an. Ich bin sicher, es gab noch andere Dinge, die passiert sind, von denen ich aber nichts weiß. Meine Erfahrung war im Allgemeinen sehr positiv. Politisch gesehen, und damit hatte ich ein Problem, wie ich schon sagte, auf breiter nationaler Basis. Ich glaube nicht, dass unsere nationale Regierung so unterstützend war. Und ich denke, es wird viel darüber geredet, die Opfer des Terrorismus zu unterstützen, aber es wird sehr wenig tatsächliches Geld dafür eingesetzt. Vor Kurzem stand zum Beispiel die Friedensstiftung kurz davor, ihre gesamte Finanzierung zu verlieren, und das hätte einen Verlust der Unterstützung für Terrorismusopfer bedeutet. Dennoch sagen die Politiker: „Nein, wir stehen wirklich dahinter. Wir denken, dass es eine wirklich gute Arbeit ist, aber wir geben ihnen tatsächlich kein Geld. Und man braucht Geld, um so einen Dienst am Laufen zu halten. Deshalb erhalten sie nur ein paar Mittel, was toll ist. Aber aufgrund der fehlenden Infrastruktur waren sie nicht auf einen Angriff dieses Ausmaßes vorbereitet, der vor allem junge Menschen betreffen würde. Und das ist es, was sie falsch gemacht haben. Wenn sich so etwas wiederholen sollte und sie keine Lehren daraus gezogen haben, wäre es einfach verheerend, weil es nicht genug Hilfe geben wird. Es gab auch Diskussionen darüber, dass Geld zur Verfügung gestellt wurde, aber dann stellte sich heraus, dass es nicht zweckgebunden war. Also ging das einfach in die Budgets der lokalen Behörden. Dadurch wurden z. B. keine zusätzlichen Betreuer geschaffen. Es gab auch den Wheel of Manchester Fund, der Spenden von Menschen sammelte; Tausende und Abertausende von Pfund kamen zusammen, dank großer Spenden und dem Konzert, das stattfand. Dieser Betrag wurde von den Menschen in Manchester oder in Großbritannien und dem Rest der Welt beigesteuert. Es kam nicht von unserer Regierung. Und ich weiß, dass sich viele der trauernden Familien nur wegen dieses Geldes wirklich unterstützt fühlten. Sie fühlten sich nicht unbedingt vom Staat unterstützt. Ich glaube, es war eher Manchester. Das taten sie auf jeden Fall. Selbst wenn das kein Geld war, wenn es nur „Wir sind hier, wir tun, was wir können“ war. 


Sie sagten, Manchester schon früher in seiner Geschichte mit Terrorismus konfrontiert wurde, was in einer Weise einen Präzedenzfall geschaffen hat und vielleicht zu einer Art Übereinkunft geführt hat und auch einen Rahmen geschaffen hat, um auf eine sehr professionelle Weise zu reagieren, anstatt die politische Seite davon zu sehen. 


Ich denke, es gibt zweifelsohne viel Rassismus in Großbritannien. Und ich bin nicht unbedingt jemand, der kommentieren kann, wie viel Rassismus es gibt. Aber ich denke, dass wir im Norden eine Art von Gemeinschaftsgefühl haben, das es vielleicht nicht überall gibt. Und das soll nicht heißen, dass es keine Fraktionen und keine Probleme gibt. Die gibt es. Aber viele Dinge bringen die Gemeinschaft zusammen. Und leider gehört zu diesen Dingen, die die Menschen zusammenbringen, beispielsweise die Tatsache, dass Menschen aus allen Gemeinschaften in Armut leben und versuchen, damit fertig zu werden. Und so kommt es tatsächlich zu rassistischen Spannungen oder kulturellen Spannungen. Armut ist auch eine große Sache, die die Menschen verbindet oder so, was schade ist, aber wahr. Aber ich glaube, es gibt auch einige wirklich positive Dinge wie 

z. B. den Zusammenhalt der Gemeinschaft, der in Manchester stattfindet, und ich denke, wir sollten stolz darauf sein. Einige Leute könnten ein Problem damit haben oder vielleicht wird es langfristig auf die Stadt zurückfallen. Aber es gab dieses Gefühl von „Komm schon, wir müssen weitermachen. Wir geben nicht auf. Die Leute werden singen. Wir werden wieder an die Arbeit gehen“. Ich denke, man kann nicht einfach so weitermachen und im Hintergrund keine Unterstützung haben, weil man es nicht einfach komplett unter den Teppich kehren kann. Ich denke, es hat sich einfach richtig angefühlt, dass wir weitermachen mussten und dass die Stadt stark geblieben ist und irgendwie nicht aufgegeben hat. 


Ich meine, das ist auch das Interessante an dem Fall Manchester, dass wir sehen, dass es diesen sehr starken Gemeinschaftssinn gibt und die Unterdrückung wirklich nur auf den Bildern basiert, die ich gesehen habe, dass das Leben stärker ist. Im Prinzip ist die Resilienz da. Und es ist nicht nur in den Worten, die jemand erfunden hat, nur weil es in der Zeitung gut aussieht. Nach meinem Eindruck gibt es auch einen Zeitfaktor. Dieses Durchhaltevermögen wird schon seit Jahren praktiziert, und es ist wirklich fast ein integraler Bestandteil der Identität der Stadt. Auf jeden Fall. 


Ich glaube, diese Art von Versuch, ein Gemeinschaftsgefühl zu schaffen, ist wirklich wichtig. Und ich bin überzeugt, dass es viele Projekte für den Zusammenhalt der Gemeinschaft gibt, die seit Jahren in der Stadt stattfinden. 


Ja, sicherlich, es gibt zum Beispiel einige lebendige Künste in der Stadt. 


Man hat die Wahl zu lieben und all diese Dinge, aber ich hatte wirklich das Gefühl, ich hatte das Gefühl, dass wir wirklich wütend sein können und fluchen, aber bitte verstehen Sie mich nicht falsch. Manche Menschen und ich fühlen sich definitiv oft sehr wütend. Und jetzt verstehe ich das. Ich glaube nicht, dass der Weg, damit umzugehen, für mich darin bestand, wütend zu werden, weil ich denke, dass das nur eine weitere schreckliche Emotion gewesen wäre, mit der man leben müsste. Es gibt Elemente, über die ich wütend bin. Aber im Großen und Ganzen ging es um die Frage: „Okay, wie kämpft man eigentlich gegen diese Art von allgemeinem Hass oder bösen Taten?“


Vielleicht tut man das, indem man sich umarmt und singt und zusammen Kuchen isst. Es sind diese wichtigen Dinge und berühren ein Gefühl von Solidarität und Klang. Das gehört alles dazu, damit es funktioniert. Und diese kleinen Teile des Puzzles kommen zusammen, damit sich die Leute ein bisschen besser fühlen. Wenn man sich dann ein bisschen besser fühlt, kann man vielleicht wieder zur Schule oder zur Arbeit gehen. Oder man kann, wenn man sich danach fühlt, anderen Menschen helfen. Dann fühlen Sie sich besser und Ihr Selbstwertgefühl verbessert sich. Wenn sich Ihr Selbstwertgefühl verbessert, haben Sie das Gefühl, dass Sie zurück zu einer Art von Normalität finden können. Ich meine, Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl waren etwas, worüber viele der jungen Leute und ihre Eltern gesprochen haben. 


Es war sehr wichtig, das zurückzubekommen. Ich konnte mit dem Medienkram wirklich nichts anfangen. Also, es war furchtbar. Es gab auch harte Zeiten. Ich hatte eine steile Lernkurve, das kann ich Ihnen sagen, in Bezug auf die Medien und einige gewissenlose Verhaltensweisen und einige erstaunliche Leute. Das ist der lokale Fernsehsender in Manchester, Granada. Sie waren großartig und haben uns sehr, sehr unterstützt. Sie gaben uns das Gefühl, etwas Besonderes zu sein und das war wirklich toll. Aber ich war in allem sehr zögerlich. 


Ich will damit sagen, es ist nicht weg, was man zum Beispiel daran sieht, dass sie vielleicht auf die Universität gegangen sind oder sie haben ein Studium angefangen oder sie sind wieder in einen Tanzkurs gegangen oder in einen Cheerleader-Kurs oder was auch immer. Die machen das dann auch. 


Und genau das habe ich natürlich gemeint. Man muss immer damit leben. Aber wenigstens den Anfang schaffen, ein normales Leben zu haben. 


Ich glaube, das ist die am meisten geschätzte, eine der stabilsten, nachhaltigsten Möglichkeiten, vielleicht nicht den Terrorismus zu bekämpfen, aber wenigstens positiv zu reagieren und ein Signal zu senden, dass wir uns nicht einschüchtern lassen und ein Leben aufrechterhalten. 


Ich habe mit Organisationen gesprochen, die sich mit der Nicht-Radikalisierung von jungen Menschen befassen und einfach irgendwie unsere Geschichte erzählen und die Auswirkungen, die der Angriff hatte. Das geht über das hinaus, was man vielleicht im Fernsehen sieht und all diese kleinen Dinge, die ich gesehen habe. Sogar für Leute wie mich, von denen die Leute annehmen, dass sie bei unserem Kampf verletzt wurden, sind die Auswirkungen auf dein Leben, deine Arbeit und deine Familie enorm. Es geht weiter und weiter und weiter. Ich glaube, die Leute verstehen das nicht. Also, wissen Sie, das ist eine wichtige Arbeit. Ich würde das gerne weiterführen und irgendwann, wenn die Welt nicht mehr so verrückt ist. 


Nizza

Pia Parolin ist eine in Nizza lebende Biologin, Fotografin und Buchautorin. Sie beobachtet und verarbeitet die Auswirkungen des Anschlags auch in ihren Fotografien. 


www.piaparolin.com 


Wo waren Sie, als der Terroranschlag stattfand? Was war Ihre erste Reaktion?


Ich war zu Hause, im Hinterland von Nizza, 20 km entfernt. Meine beiden Kinder (16 und 17 Jahre) und mein ehemaliges Au-Pair-Mädchen Ilaria (21 Jahre) waren aber in Nizza und wollten beim Feuerwerk zusehen. 

Sie fuhren getrennt in die Stadt, weil meine Kinder noch andere Freunde abholen wollten. Was ich erst später erfuhr: Sie blieben dann bei diesen Freunden und gingen nicht an die Promenade. Aber mein Au-Pair-Mädchen war mittendrin. Durch sie erfuhr ich sofort von dem Attentat, ohne zu wissen, was los war. Sie rief mich vom Handy an und sagte: „Hier wird geschossen und überall rennen Menschen und ich weiß nicht was los ist. Was soll ich tun?“ Ich sagte ihr, sie solle ruhig bleiben und sich irgendwo in Sicherheit bringen und ich würde in der Zwischenzeit versuchen, irgendetwas herauszufinden. Aber es gab keine Information - bestimmt 20 Minuten lang, weder im Radio noch im Internet konnte ich irgendetwas finden, dass überhaupt ein Problem in Nizza sei. Ich schaltete alle Radiosender durch, aber keiner sprach darüber. Keiner war damals darauf eingestellt, dass so etwas passieren könnte. Heute ist das anders.


Ich war sehr aufgebracht, aber blieb sachlich, mein Au-Pair-Mädchen war verzweifelt und am Weinen. Meine Kinder konnte ich erreichen und sie versicherten mir, sie seien in einer Wohnung und hätten gar nichts mitbekommen. Ich sagte ihnen, sich bloß nicht nach draußen zu begeben.

Mein erster Instinkt war, in die Stadt zu fahren, um alle da rauszuholen. Das revidierte ich aber, als klar wurde, dass es ein Attentat war und im Radio angefangen wurde, darüber zu sprechen. Ich hätte keine Möglichkeit gehabt, in die Stadt zu kommen, und es hätte auch nur noch mehr Chaos gebracht, wenn jeder hingefahren wäre, um jemanden abzuholen. Also blieb ich zu Hause und war die ganze Nacht mit meinen Kindern und dem Au-Pair-Mädchen in telefonischem Kontakt, keiner von uns hat geschlafen. Ilaria wurde schließlich von netten Leuten, die sie nicht kannte, aufgenommen und sie übernachtete bei ihnen nahe der Promenade. 


Meine erste Reaktion ist also schwer zu beschreiben, ich versuchte zuerst zu verstehen, was überhaupt vorging. Es war große Sorge, aber auch die Angst, vorschnell zu urteilen, weil ich nicht genug Informationen bekam. Das letzte, was ich wollte, war, Gerüchten aufsitzen und sie weiter zu schüren. Daher war ich erstmal sehr vorsichtig. Und sehr besorgt.


Aus der Ferne organisierte ich, dass Ilaria in Sicherheit kam und meine Kinder ruhig blieben. Alle waren sehr aufgebracht und verunsichert. Das Schlimmste war der Mangel an Informationen. Wir wussten nicht, was überhaupt passiert war und welche Ausmaße es hatte. Über die Hintergründe wussten wir schon gar nichts.


Am nächsten Tag fuhr ich dann doch in die Stadt, es dauerte viele Stunden statt der üblichen 20 Minuten, weil alles abgesperrt war. Ich sammelte alle ein, und als wir zu Hause ankamen, weinten wir erst mal sehr lange umarmt zusammen. Das war ein sehr befreiender Moment. Aber der dauerte nur wenige Minuten, weil uns allen bewusst, dass viele Menschen sich nicht wieder in die Arme schließen konnten.


Wie haben Sie das Thema verarbeitet? Wie ist Ihr Projekt entstanden? 


Ich habe – genau wie meine Kinder und Ilaria – nicht direkt die Szenen des Horrors gesehen. Das hat uns alle geschützt. Wir haben keine schlimmen Bilder im Kopf, nur Gedanken. Das ist auch traumatisch, aber es macht die Traumaverarbeitung so viel leichter.


Unsere Art der Traumaverarbeitung war, darüber zusammen zu reden, Informationen zu sammeln, die zuverlässig waren, und das Ganze versuchen zu verstehen, ohne Hass, Wut, Angst aufkommen zu lassen. Das ist die wirkliche Herausforderung. 

Es folgten viele, viele, viele Diskussionen mit den drei Kids zu Hause und viel Verzweiflung in mir selbst. Die Kinder waren schneller darüber hinweg als ich, die ich das Ganze aus der Ferne erlebt habe. „Kinder hüpfen durch seichte Pfützen, Erwachsene fallen in tiefe dunkle Wasserlöcher“, erklärte mir eine Psychologin einmal.


Die größte Verzweiflung hatte ich vorher, bei dem Attentat um Charlie Hebdo in Paris. In Nizza war ich schon etwas gefasster, im Nachhinein, weil ich schon die Gedanken vorher durchgespielt hatte. Mit Paris war es das erste Mal, dass es so nah bei mir einschlug. Bis dahin hatten mich all die schrecklichen Anschläge sehr berührt und verwirrt, aber irgendwie waren sie immer gefühlt weit weg. Ich bin damit aufgewachsen, im Fernsehen über Anschläge in Israel fast täglich zu hören, irgendwann lief das fast beiläufig im Hintergrund. Gruselig. Und jetzt also Paris, das ist nicht weit und im selben Land, und das hat alles verändert. Plötzlich hatte ich Sorge und ich habe lange gebraucht, um zu verstehen, wie ich überhaupt das Thema einschätzen könnte, sollte, müsste, und wie ich darauf reagieren kann, welche Möglichkeiten es überhaupt gibt. Ich bin Wissenschaftlerin und darauf bedacht, nicht vorschnell Dinge einzuschätzen und zu beurteilen. Das fiel mir diesmal schon schwer. Zumal ich mir nie über die Informationen und Interpretationen wirklich sicher sein konnte.

Irgendwann habe ich begriffen, dass die Terror-Attentäter eines gemeinsam haben. Das ist, dass sie unser freies, buntes Leben kaputt machen wollen, uns Angst einjagen wollen, unsere Gesellschaft spalten wollen und unsere Lebensfreude rauben möchten. Und das dürfen wir nicht zulassen. Wir müssen zusammenstehen und unser schönes freies Leben weiter leben. Viele Freunde begannen, nicht mehr wegzugehen, vor allem nicht in Kinos und Shopping Malls. Sie verboten es ihren Kindern. Als ich das hörte, sagte ich: „Jetzt erst recht“. Ich ging mehr als gewohnt mit meinen Kindern aus und wir zelebrierten bewusst unser freies buntes Leben. Damit ist mein buntes, lebensfrohes, fotografisches Projekt entstanden. Ich hatte keine Hemmungen mehr, das Leben zu genießen und es allen zu zeigen. 


Der einzige schwere Knackpunkt war der Umgang mit den Opfern und deren Angehörigen. Ich sah den Konflikt, dass sie es zynisch finden könnten, wenn ich die Sonne und das Meer, die Farben und das alltägliche Treiben dort zelebriere, wo sie ihre Liebsten verloren haben. Deswegen suchte ich die Assoziationen auf, die sich mit den Opfern beschäftigen, und sie waren mir gegenüber offen, weil ich es ihnen richtig zu erklären vermochte. Und sie warfen mich nicht in einen Topf mit der Stadt Nizza, die auch sehr schnell die Sonne und das Meer, die Farben und das alltägliche Treiben in den Vordergrund stellte. Aber da war der Grund, das Gewesene zu vertuschen, damit wieder Touristen an die Cote d‘Azur kämen und das Image wieder aufpoliert würde.


Die Stadt und ich haben ähnliche Bilder verbreitet, aber die Motivation ist eine grundlegend verschiedene.


Wieso haben Sie sich für diese besondere Ausdrucksform entschieden? Was möchten Sie mit dieser Kunst / diesem Engagement erreichen? 


Ich habe mich für die Ausdrucksform entschieden: Bunt, normal, verschwommen - weil vergänglich, beliebige Passanten - wie bei dem Attentat.


Die Promenade stand immer für das Zelebrieren des Lebens, man fährt an die Cote d‘Azur weil man Freude hat, aufs Meer zu sehen und die wunderbaren Farben in der warmen Sonne zu genießen. Das sollten meine Bilder zeigen, nicht Trauer oder Angst. Wir müssen unser Leben genauso weiterleben, ohne Angst. 


Lange habe ich diesen Konflikt gespürt, dass ich damit den Opfern und deren Angehörigen nicht genügend Respekt zolle. Sie müssen es sogar als Affront angesehen haben, einfach wieder zum normalen Leben zurückzukehren. Deswegen habe ich nach vier Jahren meine Kraft zusammengenommen und das zweite Projekt gemacht, „L’amour triomphera toujours“. Das ist meine eigene Ergänzung, um zu zeigen, dass es mir überhaupt nicht egal ist, was passiert ist, sondern dass ich sehr wohl - in gedämpften Farben - die symbolträchtigen Details auf der Promenade wahrnehme. 


Ich möchte mit meiner Kunst und diesem Engagement erreichen, dass die Menschen ohne Angst ihr normales Leben wieder aufnehmen, jedenfalls die, die keinen bei dem Attentat verloren haben. Ich möchte zeigen, dass es in Ordnung ist, das Leben zu genießen. Das Meer und die Farben tun gut, und sie dürfen zwar nicht einfach beiseiteschieben, was passiert ist, aber wir dürfen uns nicht abbringen lassen von unserem Leben, wie wir es gewohnt sind, und bewusst die Lebensfreude wieder suchen. Und mit der Lebensfreude geht auch einher: Zusammen stehen, gegen Spaltung und Hass, gegen pauschale Verurteilung und Kategorisierung.


Werden Sie von anderen Institutionen unterstützt? 


Ich bin nicht wirklich betroffen, daher nein.


Möchten Sie in der Zukunft Ihr Projekt fortsetzen? Wie möchten Sie es weiterentwickeln? 


Ich habe das Projekt nie aufgehört. Ich habe einige Monate gebraucht, um anzufangen, aber seitdem habe ich es nie wirklich unterbrochen, fahre mehrmals die Woche zur Promenade und fotografiere dort. Ich setze die beiden Projekte fort, besonders das bunte, und möchte es weiterentwickeln. An diesem Punkt bin ich gerade, daraus etwas Größeres zu machen. Ich denke, ich würde gerne ein Buch darüber schreiben oder zumindest einen Artikel, der alles in einen Zusammenhang bringt und so erklärt, dass er anderen Menschen nutzen kann. In dieser Phase bin ich gerade, mir zu überlegen, wie ich das am besten mache. 


Wie wird in Ihrer Stadt / Ihrem Land an den Terroranschlag erinnert? Gibt es einen Konsens?


Die direkt Betroffenen sind nach wie vor unzufrieden, weil sie sich nicht ernst genommen fühlen, sie kämpfen nach wie vor für ein richtiges Mahnmal. Das Attentat wird versteckt, weil die Stadt will, dass die Touristen wiederkommen und Nizza nicht mit einem Terror-Ort in Verbindung gebracht wird. Sie wollen auch dieses bunte, normale Leben nach außen zeigen, zum Unterschied zu mir aber wollen sie das Gewesene vergessen und verdrängen. Am besten, sie könnten es einfach mit dem schönen Aktuellen zudeckeln – so empfinde ich es. Meine Intention ist das nicht mit meinen Bildern, ich möchte nichts verdrängen und verstecken. 

Es gibt keine Gedenkstätte, die wirklich des Namens wert wäre, oder Veranstaltungen, die aufrütteln. Es soll vergessen werden und der Tourismus soll wieder blühen. Frankreichweit mag das anders sein, aber lokal ist dies die spürbare Message. Die meisten Bewohner der Stadt sind wohl damit einverstanden, wollen ihr privilegiertes Leben weiterführen. Aber alle Betroffenen können das nicht.


Beteiligen Sie sich durch Ihr Projekt? Warum?


Eine Zeit lang habe ich mit den Vereinigungen zusammengearbeitet, die sich um die Opfer kümmern. Ich habe an Spendenakionen teilgenommen, Bilder für ein Bildband gestiftet. Sie haben mich mehrmals gebeten, Fotos von den Gedenkstätten zu machen, die von der Stadt hier und da zugelassen wurden. Das habe ich dann auch getan und meine Fotos kostenlos zur Verfügung gestellt. Ich habe auch gedruckte Fotos an die Vereinigungen verschenkt, falls sie damit ihre kahlen Wände schmücken wollten. 

Die Stadt Nizza hat wohlwollend zur Kenntnis genommen, dass ich ihre bunten Bilder nach außen trage, durch Ausstellungen in Deutschland (Magdeburg, Nürnberg, Bonn, Berlin, Düsseldorf) und Italien (Trieste, Sacile). Aber sie wollen nur das blühende Image und keinen Diskurs drumherum. Daher mache ich es auf eigene Kappe.


Wie wichtig sind Gedenkveranstaltungen Ihrer Meinung nach? 


Gedenkveranstaltungen sind das Allerwichtigste. Für die Opfer und ihre Familien ist es ewig unerträglich. Zu sehen, dass die anderen in der Stadt gemeinsam mit ihnen zusammenstehen und sich gegenseitig unterstützen und versuchen, ohne Hass zusammen nach vorne zu sehen, ist die einzige Art, so ein Attentat wirklich dauerhaft zu bewältigen. Das Schlimmste ist, so zu tun, als sei nichts gewesen, und das passiert, wenn keine Gedankenveranstaltungen stattfinden. Sie werden dann durch kleinere privat organisierte Veranstaltungen ersetzt, auf der jeder seine ungefilterte Meinung auf die Bühne tragen kann. Dagegen ist in einer Demokratie nichts einzuwenden, aber es ist viel schwerer, damit einen Zusammenhalt und eine Verhinderung von Anschuldigungen, Kategorisierung und Hass zu bewirken. Das funktioniert „top down“ besser. Gedenkveranstaltungen sind solche Top-down-Aktionen, die von einer - hoffentlich - weitsichtigen Politik geleitet werden und das klare Ziel der Vereinigung und Verhinderung von Spaltung und Hass haben.


Wie kann man am besten Erinnerungsarbeit leisten?


Das Wort Erinnerungsarbeit enthält zwei Elemente: Wir müssen uns erinnern, und das erfordert Arbeit. Beides ist unangenehm, zum Teil schmerzhaft, zum Teil sehr anstrengend. Und deswegen wird es oft kleingehalten. Ich empfinde den größten Trost, wenn ich sehe, dass - wie mir geschah nach Charlie Hebdo - Menschen jeglicher Herkunft und Konfession sich an die Hand nehmen, alle zusammenstehen und der Toten und Verletzten gedenken und dann Menschen sprechen, die alle vereinen, statt noch mehr zu spalten. Wir brauchen Hilfe, um wieder in eine positive Zukunft blicken zu können, in der Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit Realität sind und nicht nur eine Farce. Und diese Hilfe kommt aus der Erinnerungsarbeit. 


Das Gegenteil ist Verdrängen und einen dicken Stein draufzulegen. Dann wird nicht verarbeitet und nach vorne gesehen, sondern vielmehr bleiben die Ängste bestehen, es könne sich wiederholen, und bestimmte Bevölkerungsgruppen werden stigmatisiert. Wenn wir uns erinnern, was passiert ist, bringt das auch wieder die Ängste hoch. Aber wir machen uns die Mühe, damit umzugehen. Wir lernen Schritt für Schritt, auch mit anderen gemeinsam, wie wertvoll es ist, sich mit dem Gewesenen auseinanderzusetzen, statt es einfach „ungeschehen“ zu machen – was unmöglich ist. 


Sich das Gewesene bewusst zu machen, bedeutet immer wieder, im ganz normalen Alltag und im ganz kleinen jeden Tag die kleine Anstrengung zu machen, um tolerant und weltoffen zu sein, nicht zu diskriminieren, einzugreifen, wenn es nötig ist, weil jemand sich nicht an die Regeln des guten Zusammenlebens hält. All das wird durch Erinnerungsarbeit gefördert.


Welche Ähnlichkeiten/Unterschiede sehen Sie mit den anderen Terroranschlägen, die anderswo in Europa verübt worden sind?


Die Unterschiede liegen vielleicht in der Art und Motivation der Terroranschläge. Es können rechtsradikale oder linksgerichtete sein, religiös motivierte oder politisch orientierte. Die Ausführung kann einfach und laienhaft bis hin zu hochprofessionell sein, ein Einzeltäter oder etwas großes Gesteuertes. Es sind kleine Versuche wie ein Schrei mit einem Küchenmesser oder große symbolträchtige Horrorakte wie die Enthauptung eines Lehrers oder von Menschen in einer Kirche. 


Die Ähnlichkeit ist, dass die zugrundeliegende Idee immer dieselbe ist: Die Gesellschaft spalten, Hass und Angst säen.


Sollte es Ihrer Meinung nach gemeinsame Gedenkveranstaltungen geben, z. B. am europäischen Tag für die Opfer des Terrorismus?


Die Unterschiede von Art und Motivation des Terrorismus sind nur lokal bedeutend, aber global unwesentlich. Die Ähnlichkeiten hingegen betreffen das Wesen der Gesellschaft, den Grundsatz unseres multikulturellen Zusammenlebens. 

Daher können gemeinsame Gedenkveranstaltung auch über Grenzen hinaus vereinen und sind besonders wichtig. Innerhalb Europas sollten wir das Symbol nutzen, dass wir zusammenstehen, egal, welche Nationalität und Sprache und Kultur und Glauben wir haben.


Auch hier gilt meiner Meinung nach der Top-down-Vorteil: Statt von unten die Vielfalt dominieren zu lassen, die irgendwann in den Köpfen der Menschen nur für Verwirrung sorgt, ist eine klar gerichtete, offene, durchsichtige, zielgerichtete Haltung und Politik von oben notwendig. Das sind eben gemeinsame Gedenkveranstaltungen. Durch Gedenken, Bescheidenheit, Einigkeit, Großmut und Toleranz können Extremisten und Rassisten in ihre Schranken gewiesen und Hassprediger und potentielle Attentäter entmutigt werden, weil alle anderen zusammenstehen.



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